Zürich, 22. Juni 1963: Stadtpräsident Emil Landolt eröffnet in Anwesenheit des Präsidenten der 17. Uno-Generalversammlung die erste von Grund auf gebaute Moschee der Schweiz – die Mahmud-Moschee.
Zu dieser Zeit leben hierzulande erst wenige tausend Muslime – entsprechend gross ist das Interesse der Bevölkerung. «Erwachsene hegen noch viel Kindliches in sich und müssen ihre Wundernase in etwas stecken, das nach Orient und Tausendundeiner Nacht klingt», erklärt damals die «Neue Zürcher Zeitung» die Neugier der Besucher. Das Blatt kritisiert aber auch: Die Steuerbefreiung der muslimischen Gemeinde würde christliche Minderheitsbewegungen diskriminieren.
Freiburg, 1. Januar 2015: Das Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft nimmt unter der Leitung des deutschen Sozialethikers Hansjörg Schmid offiziell die Arbeit auf. Inzwischen leben hierzulande laut Schätzungen rund 450‘000 Muslime, ein Drittel hat den Schweizer Pass.
Eine «Koran-Schule», wie das die kantonale SVP befürchtet, beinhaltet das Zentrum nicht. Die Volkspartei lancierte Ende Januar trotzdem eine Volksinitiative, um die geplante Eröffnung im September zu verhindern. Die Bürgerlichen sehen die «katholische Tradition» des theologischen Instituts an der Freiburger Universität bedroht und befürchten Budget-Kürzungen – etwa bei der medizinischen Fakultät.
Die Kritik wächst mit
Zwischen beiden Ereignissen liegt über ein halbes Jahrhundert, in der Muslime von einer unsichtbaren Minderheit zu der drittgrössten Glaubensgemeinschaft im Land gewachsen sind. Gleichermassen gewachsen sei die Kritik, sagt Andreas Tunger-Zanetti. Er ist Religionswissenschaftler an der Universität Luzern und gilt als einer der profundesten Kenner des Islams in der Schweiz.
Für populistische politische Unternehmer hat sich der Islam als bewährtes Feindbild erwiesen.
Für Irritation sorge die häufigere Sichtbarkeit von Zeichen des islamischen Glaubens. Nach aussen sichtbare Elemente der als fremd wahrgenommenen Kultur würden dabei politisch instrumentalisiert: Minarett-Initiative, Burka-Verbot, Schwimmdispens. «Für populistische politische Unternehmer hat sich der Islam als bewährtes Feindbild erwiesen», sagt Tunger-Zanetti.
Er beobachtet, dass gerade Menschen christlicher Herkunft, die aber ihren Glauben nicht mehr ausüben, einen Abwehrreflex gegenüber allem Islamischen zeigen und sich dabei auf eine vage christliche Tradition des Landes berufen. Wer so über die eigene Identität als Schweizer Christ verunsichert sei, empfinde sich durch einen überzeugt gelebten Islam leicht in Frage gestellt.
Andere Religion, gleiche Praxis?
In dieser Abgrenzung von «Eigenem» und «Fremdem» gehe vergessen, dass «zwischen Islam und Christentum in der Schweiz grosse strukturelle Ähnlichkeiten bestehen», sagt Tunger-Zanetti. Der Anteil jener, die ihren Glauben umfassend und intensiv leben, sei bei beiden Religionen vergleichbar klein: Je nach Massstab ist es jeder zehnte bis jeder sechste; jeweils weit mehr als die Hälfte haben ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Religion.
Die pauschale Ablehnung des Islam kommt eher aus kulturkonservativen als aus christlich-religiösen Kreisen.
Auch bei den vertretenen Werten gebe es Überschneidungen. Freikirchliche Gruppen hätten etwa ähnliche Vorstellungen vom Geschlechterverhältnis und der Rolle der Frau wie konservative Muslime. Sowohl muslimische wie auch christliche Jugendgruppen pflegten ihre Religion bisweilen mit grosser «Ernsthaftigkeit», sagt der Religionswissenschaftler. Gesellige Freizeitgestaltung komme dort gut ohne Alkohol aus, der Grundsatz «kein Sex vor der Ehe» werde hochgehalten und die Familie habe einen hohen Stellenwert.
Für Tunger-Zanetti ist es daher nicht verwunderlich, dass unterschiedlichste christliche Gremien und Kirchenleitungen wiederholt eine offene, partnerschaftliche Haltung gegenüber dem Islam in der Schweiz vertreten haben. Die Minarettverbotsinitiative wurden sowohl von den Landeskirchen als auch vom Dachverband der Freikirchen abgelehnt. «Die pauschale Ablehnung des Islam kommt eher aus kulturkonservativen als aus christlich-religiösen Kreisen», folgert der Religionswissenschaftler.
Anerkennung hängt von Alltagsbegegnungen ab
Für ihn ist aber klar: «Muslimische Gemeinschaften gehören zur Schweizer Gesellschaft und werden auch in Zukunft dazugehören.» Die gesellschaftliche Anerkennung, die einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung vorausgehen müsse, hänge grösstenteils von Alltagsbegegnungen ab. «Da müssen sich die muslimische Gemeinschaften im eigenen Interesse fragen, wie diese häufiger und nachhaltiger werden können.» Da es dazu stets zwei Seiten brauche, seien auch Nicht-Muslime gefordert, sich offen zu zeigen und Vorurteile hinter sich zu lassen.
Anders als Debatten um den Platz des Islams in der Gesellschaft vermuten lassen, nehmen die Schweizer zumindest das Zusammenleben im Alltag grundsätzlich als unproblematisch wahr, wie die Vox-Analyse nach der Minarett-Abstimmung 2009 zeigte: Knapp zwei Drittel der Befragten waren überzeugt, dass sich die schweizerische und die islamische Lebensweise gut vertragen würden.
(Echo der Zeit, 30.03.15, 18 Uhr)