In neun von zehn Fällen ist die Invalidenversicherung einverstanden mit der Einschätzung der Haus- oder Spezialärzte, wie stark jemand noch arbeitsfähig ist. Bei Müdigkeit, Erschöpfung oder bei schwer definierbaren Schmerzsymptomen aber gehen die Einschätzungen von Ärzten und IV-Gutachtern stark auseinander.
In diesen Fällen stünden die Ärzte quasi automatisch auf der Seite ihrer Patienten, sagt Simon Lauper, der dazu eine Zahlenanalyse initiiert hat. «Wenn jemand in die Sprechstunde kommt und sagt, er könne nicht mehr, dann kann man als Arzt, wenn man den Patienten schon länger hat, schlecht sagen: Deine Rückenbefunde sind nicht so, dass du nicht mehr könntest.» Dies führe zu Konflikten und zu Hausarztwechseln.
Invaliditätsgrad oft zu hoch eingeschätzt
Um diese Konflikte zu umgehen, schätzten viele Ärzte den Invaliditätsgrad zu hoch ein, sagt Lauper. Und zwar 30 bis 50 Prozent höher als die Gutachter der medizinischen Abklärungsstellen, die im Auftrag der Invalidenversicherung arbeiten. Das zeigt die Untersuchung des Universitätsspitals Basel in mehr als 3000 Fällen aus den letzten vier Jahren.
Lauper selber leitet die grösste dieser Abklärungsstellen. Er fordert nun klarere Leitlinien – für die Ärzte, aber auch für die Abklärungsstellen der IV. Niklas Bär leitet die Fachstelle für psychiatrische Rehabilitation in Baselland. Er sagt: «Es ist nicht damit getan, dass man den Ärzten vorwirft, sie seien zu nahe am Patienten.»
Leitlinien entlasten die behandelnden Ärzte
Und dennoch fällt der Vorschlag von Lauper bei ihm, einem ausgewiesenen Experten im Umgang mit IV-Fällen, auf fruchtbaren Boden: «Ich fände es sehr gut, wenn gemeinsam Leitlinien ausgearbeitet würden, die die behandelnden Ärzten auch gegenüber den Patienten entlasten.»
Und auch den Patienten wäre es sicher dienlich, wenn die Meinung der Ärzte und der Gutachter künftig nicht mehr so stark auseinander gehen würden.