Ob Schweine, Hühner oder Kühe: Auch in Schweizer Ställen verabreichen Bauern ihren Tieren jedes Jahr tonnenweise Antibiotika. Rund 57 Tonnen waren es allein 2012. Tiermediziner vermuten, dass Schweine am meisten Antibiotika schlucken.
57 Tonnen seien auf den ersten Blick nicht viel, sagt Heiko Nathues. Er ist Chef der Schweineklinik an der Universität Bern. In Deutschland beispielsweise würden gut 1700 Tonnen Antibiotika pro Jahr eingesetzt. «Wenn man das ganze allerdings umrechnet auf Kilogramm produzierte Biomasse, stellt man fest, dass die Schweiz gleich aufliegt mit Deutschland oder auch mit Tschechien.»
Das allerdings sei erstaunlich, sagt der Professor. Denn in der Schweiz gehe es den Tieren viel besser als im Ausland, es gebe schärfere Tierschutzgesetze, keine Massentierhaltung und viel weniger Infektionskrankheiten. Es stelle sich daher die Frage, weshalb gleich viele Antibiotika eingesetzt würden wie im Ausland, wenn es bestimmte Krankheiten in der Schweiz doch gar nicht mehr gebe. Der Schweinedoktor erklärt das mit einem besonders hohen Sicherheitsbedürfnis der Schweizer Bauern.
Resistente Killerkeime breiten sich aus
Die Bauern selber sind eine Antwort bislang schuldig geblieben. Denn bei welchen Tieren die Antibiotika eingesetzt werden, warum sie eingesetzt werden und welcher Bauer besonders oft zu Medikamenten greift, ist ein gut gehütetes Geheimnis.
Angesichts der rasanten Ausbreitung resistenter Killerkeime wächst allerdings der Druck auf die Bauern, dieses Geheimnis zu lüften. Eine nationale Datenbank zur Erfassung der verabreichten Antibiotika sei überfällig, sagt Sabina Helfer vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. «Wenn man das Problem der Antibiotika-Resistenz in den Griff kriegen will, dann muss man wissen, wo, wann, wieviel und welche Antibiotika eingesetzt werden.»
Einen ersten Anlauf für eine solche Datenbank gab es bereits im Frühling. Doch der Vorstoss ist im Nationalrat an einer Mehrheit aus SVP und CVP gescheitert. Die Parteien hatten die Bauern im Nacken.
Martin Rufer vom Schweizerischen Bauernverband bestreitet das nicht. Der Bauernverband sei zwar nicht grundsätzlich gegen eine solche Datenbank, betont er. «Aber der Vorschlag, der im Nationalrat vorlag, war absolut unbrauchbar», so Rufer. Zentrale Fragen, beispielsweise der Datenschutz, seien nicht sauber geregelt gewesen.
Angst vor Streichung der Direktzahlungen?
Beobachter vermuten, dass mancher Bauer, der seine Tiere allzu grosszügig mit Antibiotika behandelt, Angst davor habe, dass ihm zur Strafe Direktzahlungen gestrichen werden könnten. Es geht – wie so oft – um viel Geld. Darum ist der Widerstand gegen mehr Transparenz nicht nur bei Bauern gross, sondern auch bei Pharmaunternehmen und bei Tierärzten, die Antibiotika verkaufen.
Das bestreitet auch Bauernvertreter Rufer nicht. «Das mag sicherlich sein, dass gewisse Kreise nicht unbedingt ein Interesse haben, die Einsatzmenge zurückzufahren», sagt er. Einige Tierärzte generierten ein Drittel und mehr ihres Einkommens durch die Verschreibung von Antibiotika, heisst es an anderer Stelle hinter vorgehaltener Hand.
Das will die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte pauschal natürlich nicht bestätigen. «Es ist möglich, dass es schwarze Schafe gibt», sagt Vorstandsmitglied Corinne Bähler. Aber die Sensibilisierung habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen. «Das sieht man auch an den Vertriebsmengen, die deutlich abgenommen haben», so Bähler. «Zudem müssen wir seit mehr als zehn Jahren lückenlos dokumentieren. Da sind keine Daten im Dunkeln.» Nur werden diese Verschreibungen eben nicht zentral erfasst und können damit nicht ausgewertet werden.
Skandinavien als Vorbild
Die Schweiz könne sich Dänemark zum Vorbild nehmen, meint Helfer vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. «Skandinavien ist bezüglich der Antibiotika-Strategie den meisten anderen Ländern weit voraus. Diese Staaten haben einfach früh erkannt, dass das Herzstück einer solchen Strategie eine Datenbank ist.»
Im Herbst soll es nun einen neuen Anlauf für die Antibiotika-Datenbank geben, diesmal im Ständerat, sagen Bund, Bauern und Tierärzte. Hinter den Kulissen wird eifrig verhandelt. Sollte auch dieser Anlauf scheitern, fehlt dem Bund weiterhin das entscheidende Instrument, um resistente Bakterien bekämpfen zu können.