Der neue CS-Chef sorgte an den Börsen für Jubelstimmung. In Politik, Medien und Kommentarspalten hielt sich die Euphorie hingegen in Grenzen. Immer wieder wurde über die Hautfarbe von Tidjane Thiam gemäkelt. Auch dass sich kein Schweizer für den Chefposten finden konnte, rief bei vielen Kommentatoren Unverständnis hervor. Doch anscheinend nicht nur bei denen.
SVP-Wirtschaftspolitiker Thomas Aeschi liess sich mit folgender Einschätzung in «20minuten» zitieren: «Ich frage mich, ob ein ivorisch-französischer Doppelbürger dafür der Richtige ist – und ob es keine fähigen Schweizer Kandidaten gegeben hätte». Und der «Blick am Abend» titelte: «Erster Schwarzer wird Schweizer Konzernboss».
Abgesehen davon, dass der erste «Schwarze» vor mehr als vier Millionen Jahren in den Wäldern Ostafrikas gestorben ist, hinterliessen Überschriften wie diese und zahlreiche geäusserte Meinungen bei vielen Lesern einen faden Beigeschmack – wie die Kommentarspalten zeigen.
Sind wir Schweizer nur schlechte Verlierer oder sind wir als Bürger doch nicht so aufgeklärt und tolerant, wie wir es von uns zuweilen annehmen? Darüber sprachen wir mit Cecile Bühlmann, der langjährigen Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR).
Frau Bühlmann, was ging Ihnen gestern durch den Kopf, als sie die Kommentare zur Vorstellung des neuen CS-Chefs Tidjane Thiam gelesen haben?
Es war für mich einmal mehr ein Déjà-vu, dass es immer noch Schweizer gibt, die meinen, sie seien der Nabel der Welt.
Sie haben lange in der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus gearbeitet. Ist es dann nicht frustrierend, derartiges zu hören und zu lesen?
Ich habe darüber den Kopf geschüttelt, ja. Aber frustriert bin ich nicht. Denn sehen Sie, seit die EKR 1995 ihre Arbeit aufnahm, hat sich bei vielen Leuten im Denken etwas geändert. Der Glaube, hier wir weissen Schweizer und dort der Rest der Welt – den gibt es so heute viel weniger.
Und das ist das Verdienst der EKR?
Nein, natürlich nicht ausschliesslich. Vor allem durch die Globalisierung hat sich der Alltag vieler Schweizerinnen und Schweizer gewandelt. Egal ob durch ein Studium im Ausland oder durch die Arbeit und Reisen, durch zwischenmenschliche Beziehungen oder Beziehungen geschäftlicher Art – bei vielen hat das den Blick geweitet.
Aber ganz offensichtlich doch nicht bei allen Schweizern?
Natürlich gibt es immer noch Abgrenzungstendenzen. Sie dienen vor allem dem – aus meiner Sicht – hilflosen Versuch, die eigene Identität zu stärken. Besonders oft findet diese Auseinandersetzung in den sozialen Medien statt. Hier ist die Hemmschwelle für Rassismus und Beleidigungen unglaublich niedrig.
Aber im Netz finden auch die eine Stimme, die sonst nicht gehört würden, oder?
Ja, das stimmt. Aber trotzdem bildet das Netz in den seltensten Fällen die Realität ab. Überdurchschnittlich oft wird es von sogenannten Wutbürgern benutzt. Für sie ist es ein Ventil, um alle möglichen Früste loszuwerden, die mit den Fremden oft gar nichts zu tun haben.
Aber hat die EKR da nicht versagt?
Ich war zwölf Jahre Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Ein Erfolgsmodell, im dem Sinne, dass es ihr gelungen wäre, in der Schweiz ein Umdenken einzuleiten, das war und ist sie ganz sicher nicht. Aber man weiss aus Untersuchungen, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen ihr Eigen nennt. Man hat ein Konzept der eigenen Überlegenheit und der Minderwertigkeit der Andern im Kopf. Diese Haltung wird keine Kommission der Welt beseitigen können.
Warum braucht es dann dennoch die Kommission?
Die EKR ist eine offizielle Stimme, die unaufgeregt und nüchtern kommentiert, wie es um Minderheiten in der Schweiz bestellt ist. Natürlich wünschte ich mir manchmal, man könnte noch pointierter auftreten. Aber ich habe heute nicht mehr die Utopie, dass wir rassistische Einstellungen bei den Menschen komplett beseitigen werden.
Das klingt nicht sonderlich zuversichtlich.
Im Gegenteil! Ich bin, was den Fremdenhass und Rassismus in unserem Land angeht, nicht mehr so pessimistisch wie noch vor Jahren. Die oben erwähnten Erfahrungen, die viele Schweizerinnen und Schweizer in den letzten Jahren gemacht haben, immunisieren gegen solches Denken. Der offizielle Diskurs bildet das allerdings zu wenig ab. Da könnte man meinen, dass es sehr viele Leute mit rassistischem Weltbild gebe. Doch dem ist nicht so.