Mehr als 200'000 Mitglieder hat die Unia mittlerweile. Zuletzt fand sich die grösste Gewerkschaft der Schweiz allerdings nicht wegen ihres Erfolgs beim Mitgliederzuwachs in den Schlagzeilen, sondern wegen eines Falles von sexueller Belästigung durch Roman Burger, den Chef der Sektion Zürich/Schaffhausen.
Dieser Fall ist jedoch höchstens am Rand Thema des Unia-Kongresses in Genf. Dort treffen sich derzeit rund 400 Delegierte aus dem ganzen Land, um auf die vergangenen vier Jahre zurückzublicken und die Strategie für die nächste Vierjahresperiode festzulegen.
Zahl der Streiks hat sich verdoppelt
«Wir sind immer häufiger mit einer Arbeitgeberseite konfrontiert, die einen sehr harten Kurs fährt», sagt Vania Alleva im «Tagesgespräch» von Radio SRF. Die Arbeitnehmenden würden immer öfter von den Arbeitgebern nicht ernst genommen, glaubt die Uni-Präsidentin. So komme es vor, dass Arbeitgeber «unter fadenscheinigen Begründungen» bereits vereinbarten Verhandlungsterminen fernblieben.
Die zunehmende Verhärtung der Fronten zeige sich auch daran, dass sich die Zahl der Arbeitskämpfe und Streiks seit 2011 im Vergleich zur Vierjahresperiode davor verdoppelt hätten.
Dabei sei ein Streik niemals Selbstzweck, betont Alleva, die der Gewerkschaft seit gut einem Jahr als alleinige Zentralpräsidentin vorsteht. Vielmehr sei eine Arbeitsniederlegung stets «letztes Mittel, um ernst genommen zu werden». Meistens sei vor dem Streik «sehr viel schief gelaufen», denn es brauche viel, bis in der Schweiz eine Belegschaft zu einem Streik entschlossen sei.
Manager kennen Sozialpartnerschaft nicht
In der Schweiz habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg eine erfolgreiche Sozialpartnerschaft entwickelt, die in den letzten Jahrzehnten vor allem das Aushandeln von Gesamtarbeitsverträgen beinhaltete. «Die Sozialpartnerschaft hat sehr viel mit gegenseitigem Respekt zu tun», betont Alleva.
Eine Begegnung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer-Vertretern müsse «auf Augenhöhe» erfolgen. «Das ist zentral, damit eine Sozialpartnerschaft funktioniert.» Aber genau dies vermisse sie in letzter Zeit immer mehr. So würden immer mehr Betriebe von Managern geführt, welche die Sozialpartnerschaft in der Schweiz gar nicht kennen würden.
Keine Ansprechpartner
Ein weiteres Problem sei, dass sich ein Teil der Arbeitgeber nicht mehr gemeinsam organisiere. Dies führe dazu, dass für die Gewerkschaft keine Verhandlungspartner existierten, mit denen diskutiert werden könne. Dies betreffe etwa den Detailhandel: «Wir haben keinen Partner, der bereit ist, einen Branchen-GAV auszuhandeln.»
Dabei verstünden die Arbeitgeber nicht, dass auch sie davon profitieren würden, wenn in einer Branche geregelte Arbeitsbedingungen herrschten und alle mit gleich langen Spiessen operieren könnten, so Alleva.
Die Arbeit geht der Unia nicht aus
Neue Herausforderungen sieht die Gewerkschaftspräsidentin auch im Zuge des technischen Wandels. Dabei bleibe der Kampf für das Wohl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stets im Zentrum der Unia-Bemühungen. Alleva nennt als Beispiel den umstrittenen Fahrtendienst Uber: Dieser argumentiere, dass die Uber-Fahrer Selbständigerwerbende seien.
Inzwischen hat die Suva aber festgestellt, dass Uber Sozialversicherungsbeiträge für seine Fahrer leisten müsse. Ausserdem habe die Unia ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das zeige, dass Uber das Arbeitsgesetz einhalten müsse. «In solchen Fällen müssen wir genau hinschauen und prüfen, wie wir diese Leute organisieren können, damit diese Arbeitsbedingungen geregelt werden.»
Das Beispiel Uber zeigt: Der grössten Gewerkschaft der Schweiz wird die Arbeit wohl nicht allzu rasch ausgehen. Alleva stellt denn auch unverblümt fest: «Uns weht ein sehr rauer Wind entgegen.»