Das grosse Ja zur direkten Demokratie auf den dezenten Plakaten zieht offenbar nicht: Der SVP ist es laut den Meinungsforschern nicht gelungen, die Selbstbestimmungs-Initiative ausserhalb ihrer treuen Anhängerschaft unters Volk zu bringen.
Ganz im Gegensatz zur Masseneinwanderungs-Initiative vor fünf Jahren. Damals trafen die SVP-Argumente das Gefühl eines Unbehagens bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Diese Dringlichkeit scheint die eher abstrakte Forderung nach dem Primat der Bundesverfassung vor internationalem Recht nicht zu haben.
Gegner ziehen Drohkulisse auf
Die Gegenkampagne hat allerdings eine regelrechte Drohkulisse gegen die Selbstbestimmungs-Initiative aufgefahren: Der Verfassungsartikel würde die Schweiz isolieren und sei eine Gefahr für den Wohlstand. Economiesuisse hat diesen Herbst viel Geld ausgegeben, um auf dem Bundesplatz achtzehn Container aufzutürmen: So viel exportiert die Schweiz in zehn Minuten. Dafür sei sie auf internationale Regeln angewiesen.
Das Stimmvolk reagiert zunehmend abgeklärt und gelassen auf die grossen, emotionalen Schicksalsfragen.
Die zweite SRG-Umfrage zeigt: Die Botschaft der Gegner ist scheinbar angekommen. Wer Nein sage zur Selbstbestimmungs-Initiative wolle vor allem, dass die Schweiz ein verlässlicher Handelspartner bleibe. Bemerkenswert: Die Debatte um die Menschenrechte spielt für die Befragten laut Umfrage eine eher untergeordnete Rolle.
(K)eine Frage der Identität
Überhaupt reagiert das Stimmvolk zunehmend abgeklärt und gelassen auf die grossen, emotionalen Schicksalsfragen: Dies habe auch mit einem geübteren Umgang mit den sozialen Medien zu tun, vermuten die Meinungsforscher. Vielleicht aber auch damit, dass die Umdeutung der Selbstbestimmungs-Iinitiative von einer staatsrechtlichen Vorlage zu einer Frage der ur-schweizerischen Identität nicht funktioniert hat.
Die direkte Demokratie ist in der Schweiz unbestritten. Das Stimmvolk will selbst über die wichtigen Angelegenheiten im Land entscheiden, ist aber laut Umfrage mehrheitlich der Ansicht, bereits heute hinreichend Mitspracherecht zu haben. Die SVP habe mit der Angst vor internationalem Recht die Mitte der Gesellschaft nicht erreichen können, interpretieren die Meinungsforscher die Aussagen der Befragten.
Erfindet sich die SVP im Wahljahr neu?
Was heisst das für den neuen Stil der SVP? Sind die dezenten Töne nach einem Nein zur Selbstbestimmungs-Initiative bereits wieder Geschichte? Vielleicht ist die Kampagne auch ein Versuch im Hinblick auf die Wahlen im kommenden Herbst. Vorboten eines Wandels.
Eine zusätzliche Tonalität ihrer liberal-konservativen Politik. Die gleiche Botschaft, elegant verpackt für ein urbaneres, nicht ganz so zorniges Publikum. Um mehrheitsfähig zu sein. Insbesondere bei Ständeratswahlen hat die laute SVP bisher nämlich oft nicht funktioniert.
In den nächsten zwei Wochen dürfte die Partei allerdings noch einmal die Lautstärke zünftig aufdrehen, um mit der Selbstbestimmungs-Initiative doch noch zu punkten. Oder zumindest einen Achtungserfolg zu erzielen. Trotz der Gelassenheit des Stimmvolks.