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Teures Gesundheitswesen Fit bis ins hohe Alter – zu welchem Preis?

  • Das Gesundheitswesen in der Schweiz wird immer teurer, die Krankenkassenprämien steigen weiter an.
  • Ein grosser Teil der Kosten fällt im hohen Alter an, und alte Menschen gibt es immer mehr. Gleichzeitig macht die moderne Medizin immer mehr möglich.
  • Wann machen teure Operationen Sinn?

Urs Peter Minder ist 91 Jahre alt. Vor einem Jahr hat er eine neue Herzklappe bekommen. Für rund 60'000 Franken gewann er viel neue Lebensqualität.

Der pensionierte Psychiater geht immer noch auf Wanderreisen und ins Fitness. Nach seinem Eingriff könne er besser atmen, wenn er Bergauf gehe. «Das konnte ich früher nicht und musste immer einen Zwischenstopp machen», sagt Minder. Zudem könne er besser mit seiner Partnerin sprechen, während dem er mit ihr spazieren gehe. «Also bin ich sehr glücklich über diese Verbesserung.»

Also ich bin sehr glücklich über diese Verbesserung.
Autor: Urs Peter Minder Patient nach einem chirurgischen Eingriff, 91 Jahre

Herzkreislaufkrankheiten sind laut der Todesursachenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) die häufigste Todesursache bei über 80-Jährigen. Nur dank modernster Technik sind Eingriffe am Herzen bei so alten Patienten möglich. Früher konnte eine Herzklappe nur durch eine offene Herzoperation ersetzt werden. Bei sehr alten Menschen ist das Risiko einer so grossen Operation oft zu gross. Selbst wenn sie die Operation überstehen, bekommen sie ihre Mobilität oft nicht mehr zurück.

Ohne eine solche künstliche Herzklappe hätte Minders Lebenserwartung höchstens noch zwei Jahre betragen.

Aber nicht jeder Patient mit einer verkalkten Herzklappe bekommt einen Ersatz. Die Ärzte wägen genau ab. Entscheidend ist der Gesundheitszustand. Aber nicht nur: Man müsse sich die Fragen stellen, wie viel Lebensfreude der Patient habe, oder wie er seine eigene Lebensqualität einschätze, meint Thomas Pilgrim, Kardiologe des Inselspitals in Bern. Andere Ärzte meinen, dass auch die Faktoren angeschaut werden müssen, ob der Patient an einer Depression leidet oder ob alleine in einem Heim vor sich hinvegetiert.

Entscheidungsfaktoren

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Vor einem Herzklappenersatz wird meist beurteilt:

  • Die Indikation (Schweregrad der Erkrankung)
  • Leidensdruck und Einschränkung der Lebensqualität
  • Keine Begleiterkrankungen die mit einer Lebenserwartung von weniger als 1 Jahr verbunden sind
  • Anatomische Kriterien, die das Risiko des Eingriffs erhöhen

Der Entscheid sollte jedoch immer mit dem Patienten gemeinsam getroffen werden, wie Erika Ziltener vom Dachverband Schweizerischer Patientenstellen weiss. Dies werde aber zu wenig gemacht. Patienten würden nicht genug aufgeklärt. «Die Patienten sollen mündig entscheiden können.»

Die Patienten sollen mündig entscheiden können.
Autor: Erika Ziltener Präsidentin der Schweizer Patientenstellen

Urs Peter Minder ist einer von vielen: Über 1600 alte Menschen haben 2016 eine neue Herzklappe bekommen. Die Zahlen sind laut den Schweizer Kardiologen von 18 im 2007 auf 1630 im 2016 rasant angestiegen. Dies kostete etwa 90 Millionen Franken. Und jedes Jahr steigt die Zahl der Eingriffe. Müsste somit eine Altersobergrenze eingeführt werden? Es gibt Politiker, wie zum Beispiel SVP-Kantonsrat Beat Meister (LU), die genau das fordern.

Kommt nicht in Frage, meint die Patientenschützerin: «Eine Altersobergrenze ist für mich indiskutabel. Wir setzen uns sehr stark mit den Kosten auseinander, aber bei einer medizinischen Behandlung muss der Nutzen für eine Patientin oder einen Patienten im Zentrum stehen. Und dann sind die Kosten nicht die erste Frage, die wir uns stellen», betont Ziltener.

Eine Altersobergrenze ist für mich indiskutabel.
Autor: Erika Ziltener Präsidentin der Schweizer Patientenstellen

Man könne an ganz vielen anderen Orten wie zum Beispiel bei den Medikamentenpreisen sparen, bevor man rationieren müsse, erklärt Ziltener weiter.

Und trotzdem wird sich die Schweiz mit einer immer älter werdenden Bevölkerung und immer höheren Krankenkassenprämien dieser Kosten-Nutzen-Rechnung wohl stellen müssen. Denn die Prognosen sind klar: In 20 Jahren steigt die Zahl der 80-Jährigen und älter um 80 Prozent. Gleichzeitig steigt die Zahl der Erwerbstätigen nur um 7 Prozent, wie eine Statistik im «Schweizer Monat» zeigt.

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