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U-Haft in der Schweiz Wo man als Verdächtiger am längsten sitzt

Der ehemalige Innenminister von Gambia sitzt seit bald drei Jahren in U-Haft. Ein Sonderfall. Doch passt das zu einem Rechtsstaat?

Gambia, das kleine Land an Afrikas Westküste, war lange ein Unrechtsstaat. Unter Diktator Yama Jammeh wurden vermeintliche Regimekritiker eingesperrt, gefoltert, getötet. Dass sich der Innenminister und Generalinspekteur der Polizei mitschuldig gemacht hat, ist wahrscheinlich.

Rechtsstaatlich sauber bewiesen ist es noch nicht. Der Mann wurde zwar im Januar 2017 in der Schweiz verhaftet, ein Gerichtsprozess steht aber noch aus. Inzwischen sitzt er seit nun fast drei Jahren in Untersuchungshaft.

Man verliert seinen Job, seine Wohnung. Das ist eine grosse Belastung und erzeugt massiven Druck.
Autor: Duri Bonin Rechtsanwalt

Die Untersuchungshaft ist weit härter als der normale Strafvollzug, betont Rechtsanwalt Duri Bonin: «Man ist 23 Stunden in Einzelhaft. Man verliert seinen Job, seine Wohnung. Das ist eine grosse Belastung und erzeugt einen massiven Druck.» Da sei es verständlich, dass man dem Staatsanwalt liefere, was er hören will.

Lange U-Haft in Zürich, Genf und der Waadt

Zum konkreten Fall des gambischen Ex-Ministers können und wollen sich weder Rechtsanwalt Bonin noch sein Kollege Adrian Bigler, ebenfalls Strafrechtsexperte mit Schwerpunkt Untersuchungshaft, äussern.

Möglich, dass es sich um einen besonders komplexen Fall mit schwierigen internationalen Verstrickungen handelt, wie das Bundesgericht argumentiert. Generell aber sei vor allem in Zürich, Genf und der Waadt die Tendenz festzustellen, dass schnell U-Haft verfügt werde und diese lange dauere.

Es ist absolut unverhältnismässig, dass man die Leute einsperren darf, wenn am Schluss nur eine bedingte Strafe zu erwarten ist.
Autor: Adrian Bigler Rechtsanwalt

Manchmal werde später auch bloss eine bedingte Strafe ausgesprochen. «Das kommt sehr häufig vor», weiss Strafverteidiger Bigler aus der Praxis. Genaue Zahlen sind nicht erhältlich. Aber es sei doch absolut unverhältnismässig, «dass man die Leute einsperren darf, wenn am Schluss nur eine bedingte Strafe zu erwarten ist». Somit greife die Zwangsmassnahme härter in die Freiheitsrechte des Einzelnen ein als die schlussendliche Sanktion selbst.

Knapp jeder vierte Gefangene in U-Haft

Dabei sehe das Gesetz die Haftstrafe doch ausdrücklich als Ultima Ratio vor, als letzte Massnahme, so Bigler. Gegenwärtig sitzen knapp 1900 Verdächtige in der Schweiz in Untersuchungshaft. Das ist knapp ein Viertel der Gefangenen. Wegen der Gefahr von Absprachen sind sie oft in Einzelzellen ohne Beschäftigung mit bloss einer Stunde am Tag Hofgang.

Die Verbesserung der Haftbedingungen in den Untersuchungs-Gefängnissen sei dringend, sagt Bonin. «Es kann nicht sein, dass jemand in der Haft gebrochen wird, wie es leider viel zu oft vorkommt.» Er wünsche sich mehr richterliche Unabhängigkeit in den Zwangsmassnahmeverfahren, so der Rechtsanwalt. Denn heute winkten die Zwangsmassnahmengerichte die Anträge der Staatsanwaltschaft viel zu häufig ungeprüft durch.

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