- Im Kanton Aargau gibt es Widerstand gegen einen neuen Abschnitt in der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung: Diese erlaube es, arme Menschen gegen deren Willen in Heime zu stecken.
- Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) mit Sitz in Zürich organisiert den Widerstand gegen die neue Bestimmung in der Verordnung.
- Zwei Grossräte von CVP und EVP unterstützen den Widerstand. Sie fordern die Aufhebung des Artikels.
- Die Aargauer Regierung betont, dass die Regelung mehrheitlich Flüchtlinge im beschleunigten Verfahren betreffe. Zuweisungen unter Zwang seien nicht möglich.
Die Aargauer Regierung hat per 1. März der kantonalen Sozialhilfe- und Präventionsverordnung einen neuen Abschnitt hinzugefügt. Bei Paragraph 8 steht neu:
«Personen, die in verschiedenen Lebensbereichen Unterstützung bedürfen, können zur Umsetzung entsprechender Betreuungs- oder Integrationsmassnahmen einer Unterkunft zugewiesen werden.»
Gegen diesen Abschnitt formiert sich im Aargau Widerstand. Kritiker interpretieren die neue Verordnung als Möglichkeit, hilfebedürftige Personen gegen deren Willen in Heime zu stecken. Der Regierungsrat müsse den stossenden Artikel in der Verordnung umgehend streichen, verlangten mehrere Personen am Dienstag vor dem Regierungsgebäude in Aarau. Der Artikel töne «verstörend» und öffne die Tür für staatliche Willkür.
Ausgrenzung und Bevormundung?
Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) mit Sitz in Zürich organisiert den Widerstand gegen die neue Bestimmung in der Verordnung. Zwei Grossräte von CVP und EVP unterstützen den Widerstand.
Der Regierungsrat ermögliche es Aargauer Gemeinden, Menschen in Heime zu stecken, nur weil sie arm seien, schreibt die UFS in einer Medienmitteilung. Anstatt den Armen zu helfen, würden diese «bevormundet, stigmatisiert, ausgegrenzt und ihrer Rechte enthoben». Die Kritiker lancierten die Online-Petition «Armenhäuser Nein!», um ihrer Forderung nach Streichung des Verordnungsartikels Nachdruck zu verleihen.
Die neue Bestimmung ist gemäss der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht «ein Rückfall in dunkle Zeiten». Bis 1981 hätten auch im Aargau viele Menschen unter «administrativen Versorgungen» gelitten.
Keine Zwangsmassnahmen wegen Neuerung
Beim kantonalen Sozialdepartement hat man Verständnis für die Besorgnis in der Bevölkerung. Vetreter des Departements beteuern jedoch, die neue Verordnung in der Sozialhilfe solle keineswegs zu Zwangsunterbringen führen.
Grund für den neuen Abschnitt in der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung sei das beschleunigte Asylverfahren auf Bundesebene, heisst es vonseiten der Regierung. Dieses werde dazu führen, dass Flüchtlinge schneller auf die Kantone verteilt werden. Die Folge: In die Gemeinden kommen Menschen, die noch in keiner Weise integriert sind, aber als vorläufig Aufgenommene oder anerkannte Flüchtlinge das Recht auf freie Wohnsitzwahl haben. Diese könnten für die Gemeinden zum Problem werden.
Die neue Verordnung soll dieser Entwicklung entgegenwirken, aus Sicht der Kantons ist sie ein Instrument zur Entlastung der Gemeinden. «Aufgrund dieser Anpassung können Flüchtlinge aus dem beschleunigten Verfahren einer kantonalen Asylunterkunft zugewiesen werden», erklärt die Regierung in einer Mitteilung den Abschnitt. «Der Regierungsrat hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, zwangsweise Zuführungen in Institutionen und Einrichtungen vorzunehmen», teilt er mit.
Anspruch auf freie Wohnsitzwahl
Grundsätzlich haben alle Schweizerinnen und Schweizer Anspruch auf Niederlassungsfreiheit. Man könne aber Sozialhilfe in Form einer Sachleistung, einer Wohnung zum Beispiel, ausrichten. Dies schränke dann diese Freiheit ein. Ein solcher Eingriff müsste immer «im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein».
Zwingen könne man eine Person aber nicht, hält die Regierung fest. Solche Massnahmen könnte nur das nationale Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (KESR) durchführen, hält die Regierung fest.