Die forsche EU
Massimo Agostinis, Wirtschaftsredaktor von Radio SRF:
Amazon, Starbucks, McDonalds, Google, Apple und Fiat-Chrysler. Das sind Namen, die nicht nur für Dienstleistungen und Produkte stehen, die weltweit beliebt sind. Sie stehen allesamt im Verdacht, Steuerschlupflöcher und Steuerprivilegien schamlos auszunutzen. In vielen Fällen werden ihnen diese Vorteile allerdings von den Staaten freiwllig angeboten.
Der EU-Kommission geht es nicht darum, den Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zu unterbinden. Sie will vielmehr verhindern, dass Staaten einzelne Firmen privilegieren und diese dadurch Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Konkurrenten erhalten. Die Gleichbehandlung aller ist ein Grundpfeiler der EU. Brüssel ist offensichtlich gewillt, sich auch mit den ganz Grossen anzulegen.
Ihre Bemühungen reihen sich in die internationale Anstrengungen, Steuerprivilegien abzuschaffen oder wenigstens einzudämmen. Die EU ist in diesem Kampf zweifellos Vorreiterin. Ihr Vorgehen hat in den USA bereits heftigsten Protest ausgelöst. Erst letzte Woche erklärte das US-Schatzamt, die EU gehe viel härter gegen US-Unternehmen vor als gegen eigene.
Die USA drohen darum mit Vergeltungsmassnahmen. Der Vorwurf ist aber haltlos. Als ersten grossen Konzern verdonnerte Brüssel den französischen Energiekonzern Électricité de France (EDF) zur Rückzahlung von Steuern in der Höhe von über 1,3 Milliarden Euro. Doch die Spannungen mit Washington zeigen, mit welch harten Bandagen um das Steuersubstrat der Grosskonzerne gekämpft wird.
Die USA haben – obwohl OECD-Mitglied - durchblicken lassen, dass sie die BEPS-Richtlinien (siehe Kasten) nicht umsetzen werden. Sie wollen verhindern, dass deswegen weitere Steuermilliarden ins Ausland abfliessen. Die EU hingegen gibt sich hart. Sie will glaubwürdig bleiben.
Wie soll sie den von der Krise gebeutelten Griechen, Italienern, Spaniern und Portugiesen erklären, dass sie für die Gesundung ihres Staates mehr Steuern bezahlen müssen, wenn die EU-Kommission gleichzeitig zulässt, dass der Apple-Konzern seinen Gewinn aus dem Handyverkauf in Südeuropa nach Irland verschieben darf, wo er Steuerprivilegien geniesst.
Die enttäuschten Iren
Martin Alioth, Korrespondent in Dublin:
Es klingt pervers: Aber die meisten Iren halten den Entscheid der EU-Kommission für, wie Finanzminister Michael Noonan sagte, «bizarr». In einer spontanen Hörerumfrage des irischen Rundfunks waren 56 Prozent der Meinung, Irland solle die vielen Milliarden ablehnen und den Gerichtsweg einschlagen, um das durchzusetzen.
Die Iren sind sich im Klaren, dass sie in überdurchschnittlichem Ausmass von der Präsenz der multinationalen, namentlich den amerikanischen Firmen abhängig sind. Die riesigen irischen Exporte, die Irland während der Finanz- und Wirtschaftskrise einigermassen über Wasser gehalten haben, kommen zu mindestens 80 Prozent von diesen Unternehmen. Es geht um Arbeitsplätze, aber auch um hohe Steuereinnahmen.
Natürlich wecken die Milliarden-Rückforderungen auch Begehrlichkeiten. Linke Oppositionspolitiker formulierten dies heute auch schon. Sie übersehen aber, dass die EU auch da Regeln im sogenannten Fiskalpakt erlassen hat: einmalige Erträge wie eine derartige Steuerrückgaben dürfen nicht für laufende Ausgaben oder Kapitalinvestitionen verwendet werden; sie müssen zur Schuldentilgung verwendet werden.
Die pikierten Amerikaner
Beat Soltermann, Korrespondent in Washington:
Eine Sprecherin des US-Finanzdepartements hat erklärt, der Entscheid der EU-Kommission könnte sich negativ auf ausländische Investitionen in Europa auswirken. Die USA seien zudem enttäuscht über das einseitige Vorgehen der EU.
Seit Monaten haben Treffen zwischen Vertretern der USA und der EU stattgefunden, um eine gemeinsame Lösung für die Besteuerung von multinationalen Unternehmen zu finden. Und erst letzte Woche veröffentlichte das US-Finanzministerium ein Papier, in dem es sich gegen solche Rückforderungen ausspricht. Die USA ziehen eine Änderung ihres Steuerrechts vor, weil das für sie finanziell vorteilhafter wäre. Doch dieses Projekt kommt im US-Kongress nicht voran.
Apple selber hat ebenfalls reagiert: Das Unternehmen habe sich immer ans Steuerrecht gehalten und sieht die Steuerautonomie von einzelnen Staaten in Gefahr. Der Fall ist für Apple nicht abgeschlossen, und der Entscheid der EU-Kommission ist erst der Anfang eines jahrelangen Verfahrens.