SRF News: Sie sind für staatliche Hilfe für die italienischen Banken, die in der Krise stecken. Wieso?
Peter Bofinger: Eine wichtige Erfahrung in der Bankenkrise von 2008 war, dass man nur dadurch, dass sich die Regierungen ganz klar für die Sicherheit der Einlagen eingesetzt haben, einen ganz massiven Vertrauensverlust stoppen konnte. Ich glaube, dass wir jetzt – gerade nach dem Brexit – eine instabile Situation haben, in der ich es für gefährlich halte, im grösseren Stil ein «Bail-in» (eine Gläubigerbeteiligung, Anm. d. Red.) zu praktizieren. Denn das würde bedeuten, dass italienische Einleger einen Grossteil ihrer Vermögen verlieren würden.
Andererseits hat man nach 2008 die EU-Regeln geschaffen, die besagen, notleidende Banken sollen nicht mit dem Geld von Steuerzahlern gerettet werden...
Ich weiss nicht, ob das so eine tolle Idee war. Man hat meiner Ansicht nach eine falsche Lehre aus der Finanzkrise gezogen. Diese lautet: «Die Gewinne sind privat, die Verluste müssen vom Staat und vom Steuerzahler getragen werden.» Aber wenn man sich das genau ansieht, war es bei der Krise ja so, dass die Eigentümer der Banken, also die Aktionäre, auch ganz massive Verluste erlitten haben. Und das war auch richtig so.
Wenn die Regierung diese Abwägung trifft (...), dann sollte man das auch respektieren.
Aber die Steuerzahler sind doch nicht identisch mit den Gläubigern?
Das sind sie nicht, aber man muss einem Land wie Italien auch einräumen, dass die Regierung offensichtlich das Gefühl hat, dass es die bessere Lösung ist, kein «Bail in» zu machen. Und wenn die Regierung diese Abwägung trifft und sagt, dass sie bereit ist, Steuergelder in die Hand zu nehmen, um ihre Bürger zu schützen, die nicht nur Steuerzahler sind, sondern auch Geld fürs Alter gespart haben, dann sollte man das auch respektieren. Sie ist ja mit der Wahl durch Italiens Bürger legitimiert.
Der Chefökonom der Deutschen Bank geht ja noch weiter. Er fordert ein 150-Milliarden-Euro-Programm aus EU-Töpfen...
Das muss man erst einmal sehen. Italien hat eine hohe Verschuldung, das ist richtig. Aber in der gegenwärtigen Konstellation der europäischen Finanzmärkte sind die Zinsen für italienische Anleihen sehr niedrig. Ich könnte mir deshalb durchaus vorstellen, dass Italien in der Lage ist, die Bankenrettung zu stemmen, ohne dass dafür ein Hilfsprogramm der anderen EU-Mitgliedsländer erforderlich wäre.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Italien in der Lage ist, die Bankenrettung zu stemmen.
Hinter der Idee einer Bankenrettung steht ja immer die Angst einer Ansteckung. Woher weiss man eigentlich, dass andere Banken, Finanzinstitute oder Branchen anderer Länder bei einer Pleite der italienischen Banken zu Grunde gehen könnten?
Im Voraus weiss man das nie so genau. Aber die Bankaktien in Europa insgesamt haben ja ganz erheblich gelitten in letzter Zeit. Ich glaube, es ist einfach besser, man ist vorsichtig. Im Zweifelsfall sichert man das Ganze besser zusätzlich ab, als dass man einfach blauäugig sagt, wir exekutieren jetzt die Regeln, die wir vereinbart haben. Denn wenn das Ganze dann zusammenkracht, ist es eben schade.
Andererseits besteht auch die Gefahr, dass man Banken, wenn man sie immer wieder rettet, dazu verleitet, mehr Risiken einzugehen, als gut für sie wäre...
Ja, das ist auch ein Versäumnis der Bankenaufsicht, denn das ist eigentlich ihr Job. Sie muss die Banken kontrollieren, überprüfen, überwachen. Das Versäumnis der Bankenaufsicht ist die, dass sie die italienischen Banken bei ihren Tests offenbar nicht streng genug beurteilt hat. Das muss besser werden.
Wie erklären Sie sich dieses Versäumnis?
Darüber kann man nur spekulieren. Es ist natürlich immer ein Bestreben vorhanden, dass man versucht, die Leichen im Keller zu belassen und nicht mit dem grellen Scheinwerferlicht da hinzuleuchten, wo man hinleuchten muss. Aber es ist ganz klar ein Versäumnis und wirft auch kein gutes Licht auf die europäische Bankenaufsicht.
Nach 2008 wurde versprochen, dass Bankenrettungen nicht mehr nötig sein werden. Das gelang nicht. Welche Schritte müsste man einleiten, damit es gelingt?
Man muss noch mehr daran arbeiten, die Vernetzung zwischen den Banken zu reduzieren. Wir haben immer noch das Problem «too interconnected to fail». Das heisst, dass wenn eine einzelne Bank ins Straucheln kommt, sie andere Banken mit nach unten zieht. Wir haben nach wie vor eine enorme Interbanken-Kreditbeziehung. Das ist ein Punkt, an dem man ganz stark arbeiten muss. Dann hätte man auch das Problem nicht mehr, dass das ganze System instabil wird, wenn eine Bank in Schwierigkeiten gerät.
Aber dagegen wehren sich die Banken vehement...
Ja, es gibt starke Lobby-Interessen. Es ist auch eine schwierige Gratwanderung, dass man die Banken nicht mit Regulierungen überfordert. Sonst sind die Banken vor lauter Regulierung und Eigenkapitalanforderung nicht mehr in der Lage, Kredite zu vergeben, die man braucht, damit die Realwirtschaft wieder in Gang kommt.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.