«Transistor» ist ein Schwert. Seine Klinge ist eine grün flimmernde Platine mit goldenen Kontakten, verziert mit einem roten Auge. Transistor spricht mit uns.
Stumm bleibt unsere Hauptfigur, die Sängerin Red. Sie hat soeben ihre Stimme verloren. Zu Beginn zieht sie Transistor aus dem leblosen Körper eines Mannes, dessen Seele offenbar in das Schwert geschlüpft ist. Zusammen mit Transistor kämpft sie sich durch eine futuristische Jugendstil -Stadt, gegen den «Prozess», der ihr roboterartige virtuelle Monster in den Weg stellt. Es ist eine rührend bittersüsse Liebesgeschichte.
«Transistor» ist mysteriös und sperrig und schön. Und es ist ein begeisterndes Erlebnis.
Der zweite Volltreffer von Supergiant
Das kleine Studio Supergiant Games hatte 2011 mit seinem Erstling «Bastion» schon einen Überraschungshit gelandet, der viele Preise erhalten und auch uns hier begeistert hat. Nun legt das gleiche Team (leicht ausgebaut auf ein Dutzend) unter der Führung von Amir Rao nach. Und wie.
«Transistor» ist schlicht wunderwunderschön anzusehen. Art Director Jen Zee zeichnet eine Stadt, als hätte sie um 1900 die Leitbahnen einer Platine gestaltet und in einem Dampfcomputer auf Eiffelturmhöhe aufgeblasen – ein futuristischer Gustav Klimt .
Mindestens die Hälfte der mysteriösen Stimmung gründet in der Musik von Darren Korb . Einsam schwingende Gitarren klingen retro, digital verzerrtes Rumpeln zieht uns dagegen in die Zukunft.
Vom alten Cowboy zum Schlafzimmerschwert
Und schliesslich ist da die Stimme von Logan Cunningham. Der junge Mann ist ein Jugendfreund von Amir Rao und schlug sich als Schauspieler mehr schlecht als recht durch, bevor in « Bastion » ein alter Cowboy à la Sam Elliott in «Big Lebowski» aus ihm herausbrach und dem Spiel als Erzähler den zentralen Charakter verlieh.
Als das Schwert Transistor murmelt er nun in Schlafzimmerstimme vor sich hin, spricht zwar mit Hauptfigur Red, führt aber eigentlich eher Selbstgespräche. Und wieder gelingt es ihm, die Geschichte zu tragen. Uns in die richtige Stimmung zu versetzen. Unsere Neugier zu wecken. Ab und zu mit einem feinen Augenzwinkern mit einer Prise Humor zu erleichtern.
Doch nicht nur Stimmung, Schauplatz und Geschichte haben mich begeistert. Auch die Spielmechanik ist clever und originell.
Beliebig kombinierbare «Functions()»
In den Kämpfen gegen den «Prozess» setzt Red verschiedene Fähigkeiten ihres Schwertes ein. Diese sogenannten «Functions()» lernt sie mit der Zeit dazu, indem sie nach bekannter Rollenspiel-Mechanik einen Level aufsteigt oder indem Transistor die Seelen weiterer Verstorbener absorbiert.
Das Besondere daran: Wir können jede «Function()» als eine der vier Hauptfähigkeiten einsetzen, sofern wir noch einen freien Platz haben. Dazu können wir sie aber auch verwenden, um eine andere Hauptfähigkeit zu verstärken oder gar als eine passive Fähigkeit.
Als Beispiel: «Bounce()» als Hauptfähigkeit schleudert einen Blitz, der von Ziel zu Ziel springt. Setzt man «Bounce()» ein, um eine andere Fähigkeit zu verstärken, erhält jene dieses Spring-Verhalten. Und als passive Fähigkeit gibt uns «Bounce()» ein Schild, das gegnerische Angriffe abblitzen lässt.
Das bedeutet, dass wir aus vierzehn Funktionen fast beliebig viele Fähigkeiten konstruieren können. Nicht nur können, müssen. Denn wenn wir schlecht kämpfen, verlieren wir nicht etwa ein Leben, sondern eine der Fähigkeiten wird für ein paar Kämpfe deaktiviert. Deshalb müssen wir dauernd rotieren und uns neue Kombinationsmöglichkeiten überlegen.
Dazu entsprechen diese Funktionen auch den Schlüsselfiguren der Geschichte, weil es ja deren absorbierte Seelen sind. Wenn wir eine «Function()» möglichst vielfältig einsetzen, werden wir mit zusätzlichen Schnipseln der Geschichte belohnt.
Planen statt fuchteln
Im Kampf können wir die Fähigkeiten in Echtzeit einsetzen, was allerdings nicht zu empfehlen ist. Besser ist das Planen einer Aktion. Wir können dazu das Spiel pausieren und unsere nächsten Aktionen planen: Renne in den Rücken des Monsters, hau es mit «Crash()», um es aus dem Gleichgewicht zu werfen und lege dann einen schweren Angriff mit «Breach()» nach, der die Rüstung durchdringt.
Diesen Plan können wir solange anpassen, bis wir zufrieden sind und dann in Sekundenbruchteilen ausführen lassen. Es ist unglaublich befriedigend, wenn es gelingt, in einer Aktion gleich mehrere Monster auszuschalten, bevor die überhaupt wussten, wie ihnen geschieht.
Eine weitere tolle Idee sind die sogenannten «Limiter»: Damit schwächen wir Red absichtlich, steigern also die Schwierigkeit, erhalten dafür aber mehr Erfahrungspunkte und steigen so schneller auf. Beispielsweise können wir den Limiter «Efficiency» aktivieren, worauf die gegnerischen Monster doppelt so hart zuschlagen. Oder «Superiority», worauf sich mehr gegnerische Monster auf uns werfen. Jeden Limiter können wir immer ein- oder ausschalten, also laufend aktiv den Schwierigkeitsgrad feinjustieren.
Belohnter Mut
«Transistor» ist ein Spiel eines eingespielten Teams, das seine Stimme gefunden hat und unbeirrt den eigenen Weg geht.
«Transistor» ist nicht nur grossartig, weil es toll aussieht, grossartig klingt und enorm spannende mechanische Ideen hat.
Sondern weil es Risiken eingeht. Weil es eine Geschichte erzählt, die sehr lange absichtlich mysteriös bleibt und sich erst gegen Schluss auflöst. Weil es darauf vertraut, dass uns sperrig nicht abschreckt, sondern die Neugier weckt. Weil es uns zutraut, Komplexität zu erfassen.
Deshalb liebe ich es heiss.
«Transistor» ist für PC und Playstation 4. Es ist ab 12. Das Haikiew ist hier.