Kann man Homosexualität wegtherapieren?
Während die meisten Leute bei solch einer absurden Frage nur böse Blicke oder ein genervtes Kopfschütteln übrig haben, wird in gewissen Kirchen tatsächlich noch über diese Thematik diskutiert. Denn obwohl das Schwul- und Lesbischsein seit über 25 Jahren nicht mehr auf der offiziellen Liste der psychischen Krankheiten vertreten ist, finden sich in der katholischen Kirche und in Freikirchen trotzdem VertreterInnen, die das glauben.
Ihr Lösungsvorschlag sind dabei sogenannte Umpolungs- oder Konversionstherapien, die gläubige Homosexuelle zurück auf den Pfad der «Normalität» (sprich: zur Heterosexualität) führen sollen. Was dabei am meisten überrascht: Auch in der Schweiz sind solche Massnahmen hoch im Kurs und werden nach wie vor praktiziert. Doch wie sieht so eine Therapie aus? Und was löst sie bei einem jungen Menschen aus, der mitten in der Selbstfindung steckt?
Fragwürdige Lehrmittel schüren Hass
Eine mögliche Ursache dieser ausgeprägten Abneigung liegt bei der Darstellung von Homosexuellen in Lehrmitteln für diese Therapieform. Darin wird vor allem der Schwule als Mensch portraitiert, der nicht monogam leben kann und ein Problem mit Drogen und Alkohol hat. Häufig wird auch HIV ins Spiel gebracht oder selten sogar ein direkter Vergleich zur Pädophilie gezogen.
Der Grund für diese veraltete Ansicht ist dabei schnell gefunden: Die Bücher basieren auf Studien, die in den 60er- oder 70er-Jahren durchgeführt wurden – also in einer Zeit, in der die homosexuelle Community noch als Randgruppe der Gesellschaft galt und daher kaum thematisiert wurde.
Aber nicht nur der Inhalt der Lehrbücher, sondern auch deren Verfasserinnen und Verfassen machen stutzig: Viele von ihnen berichten von eigenen «Heilungen» und schildern ihre Therapieerfahrungen. Dass sich die meisten von ihnen aber nicht als homo-, sondern bisexuell bezeichnen und gewisse Veröffentlichungen sogar von ihren Autoren zurückgezogen wurden, wird gekonnt unter den Teppich gekehrt.
Im Gespräch zurechtgebogen
Doch wie wird diese fragwürdige Fachliteratur in der Praxis angewendet? Das weiss wohl niemand besser als Nicola*. Im zarten Alter von 17 Jahren gesteht er sich seine homosexuelle Neigung ein und beschliesst, bestärkt durch sein freikirchliches Umfeld, einen Seelsorger aufzusuchen. Im gemeinsamen Gespräch wird probiert, Ursachen für seine «Verweichlichung» zu finden und die Homosexualität von Anfang an aufzuarbeiten: Wo hat die Mutter zu viel in die Erziehung investiert? Was möchte er im Kontakt zu anderen Männern kompensieren? Die Psychospielchen sind fies, die sogenannten «Praxistipps» fragwürdig und mit dem Idealbild eines vorbildlichen Christen im Hinterkopf macht Nicola alles mit.
Mir wurde Mannschaftssport oder Prügelspielchen mit meinen Freunden empfohlen, da ich so körperliche Nähe zu anderen Männer erfahren sollte, die nicht auf sexueller Ebene passiert
Erst nach zehn Jahren merkt er durch das Outing eines guten Freundes, dass die Therapie seinen Zweck verfehlt. Er setzt sich auf theologischer Ebene mit seiner sexuellen Orientierung auseinander und merkt, dass diese nichts mit seinem Glauben zu tun hat. Als er seinem Mentor von seinem Beschluss erzählt, mit der Umpolung aufzuhören, kommt es zur überraschenden Wendung: Statt böse Worte gibt es ein verständnisvolles Nicken. Nicolas langjähriger Seelsorger merkt, dass die sexuelle Orientierung nicht wegtherapiert werden kann und hört auf, die Umpolungen anzubieten.
Ein grosser Erfolg für Nicola, der ihm die nötige Kraft für sein Outing gibt. Zwar wendet sich ein Grossteil seines Umfelds von ihm ab, aber trotzdem gelingt es ihm, im Einklang mit seiner Homosexualität leben. Er beginnt ein Theologiestudium an der Universität, tritt der reformierten Kirche bei und trifft im Zwischenraum auf Gleichgesinnte.
Wer nicht spurt, wird verstossen
Wer nun meint, dass eine Ablehnung dieser Therapie die bessere Lösung sei, täuscht sich gewaltig. Als Antonia* nach nur zwei Sitzungen mit einer Seelsorgerin merkt, dass eine Umpolung für sie nicht infrage kommt, eskaliert die Situation völlig: Ihr Vater wünscht ihr den Tod, streicht Antonias Namen aus seinem Testament und schmeisst sie aus der Wohnung. Auch ihr Freundeskreis zeigt ihr die kalte Schulter, böse Kommentare wie «man sollte dich steinigen» treffen sie hart und ein wachsender Suizidwunsch macht sich bemerkbar.
Halt bekommt Antonia in dieser schweren Zeit nur von ihrer Partnerin und dem Zwischenraum, den sie dank dem Internet findet. Schwierige Monate vergehen, es werden Tränen getrocknet, traumatische Erfahrungen verarbeitet und der grosse Wunsch, seine eigene Homosexualität zu akzeptieren, wird Schritt für Schritt realer.
Ich stehe zu mir und meiner wunderbaren Partnerin, die ich hoffentlich bald heiraten werde. Aber es gibt sicher Tage, an denen ich meine Homosexualität immer noch anzweifle.
Obwohl es ihr auch heute noch an einigen Tagen Mühe bereitet, im Einklang mit sich selbst zu leben, hat auch sie ihr Theologiestudium fortgesetzt und ist der reformierten Kirche beigetreten. Ausserdem möchte sie Aufklärungsarbeit leisten und macht sich stark für Leidensgenossen. Denn wie sie selber sagt, ist ihre Mission erst dann vollbracht, wenn es keine Rolle mehr spielt, wer man ist und wen man liebt.
*Namen der Redaktion geändert