Um zu verstehen, welch' grosses Ereignis die Volleyball-EM für das Schweizer Team ist, muss man 5 Jahre zurückblättern. 2014 wurde Timo Lippuner Nationaltrainer, doch er war damals ein Trainer ohne Team. Nach der Heim-EM 2013 trat mehr oder weniger die gesamte Equipe zurück. Die Gründe waren zwar vielfältig, für die meisten war aber der Aufwand für die Nationalmannschaft neben dem Klub zu gross.
Lippuner trat mit dem Ziel an, einen neuen Geist ins Schweizer Volleyball zu bringen. Die Spielerinnen sollten denken, leben, trainieren und spielen wie echte Leistungssportlerinnen, wie Profis.
Wir haben viel zusammen erlebt und durchgemacht, das hat uns zusammengeschweisst.
Und er schaffte, was quasi unmöglich erschien: Junge Spielerinnen gingen mit ihm diesen Weg, wurden besser, und schafften – wie Maja Storck und Laura Künzler – den Sprung ins Ausland und wurden Profis.
Konsequenz als wichtiges Puzzleteil
Und Lippuner blieb über die Jahre konsequent: Wer nicht bereit war, das komplette Programm der Nationalmannschaft mitzumachen, hatte keinen Platz. Captain Künzler betont den Zusammenhalt im Team: «Wir haben viel zusammen erlebt und durchgemacht, das hat uns zusammengeschweisst.»
Wir sind nicht an der EM, um Spass zu haben.
Lippuners Konsequenz wurde mit der erstmaligen EM-Qualifikation auf sportlichem Weg belohnt. Natürlich kam den Schweizerinnen entgegen, dass an der EM 2019 neu 24 Equipen dabei sind (im Gegensatz zu vorher 16 Teams), aber die Schweizerinnen haben sich diesen Platz hart erarbeitet.
Die Achtelfinal-Quali als Traum
Und mit der Teilnahme ist das Ziel noch nicht erreicht. Topskorerin Storck sagt selbstbewusst: «Wir sind nicht an der EM, um Spass zu haben.» Storck und alle ihre Teamkolleginnen träumen vom Achtelfinal.
Das Ziel ist zwar hoch gesteckt, aber nicht unmöglich zu erreichen. Von den vier gesetzten Gastgeberländern Türkei, Ungarn, Polen und Slowakei hat die Schweiz mit der Slowakei das vermeintlich schwächste Gastgeberland zugelost bekommen.
Der Sieg gegen die Slowakinnen ist das Ziel, dazu scheint auch Spanien in Reichweite zu sein. Auch wenn die weiteren Gruppengegner Weissrussland, Deutschland und Russland in einer anderen Volleyballwelt spielen, wollen sich die Schweizerinnen nicht verstecken. Gerade weil niemand mit ihnen rechnet, wollen sie die übermächtigen Gegnerinnen mit mutigem Spiel überraschen und etwas ärgern.
Das Spiel gegen die Volleyballgiganten aus Russland, das weltweit erfolgreichste Volleyballland, wird ein echter Charaktertest. Die Russinnen haben 19 Mal EM-Gold gewonnen, 7 Mal wurden sie Weltmeisterinnen und 4 Mal Olympiasiegerinnen. Und auch die Deutschen verfügen über grosse Klasse, mit Louisa Lippmann haben sie eine der weltbesten Diagonalangreiferinnen in ihren Reihen.
Tiefes Durchschnittsalter – Beginn einer Ära?
Die EM 2019 soll für die Schweiz der Start in eine erfolgreiche Zukunft sein. Mit einem Durchschnittsalter von 21,5 Jahren hat dieses Team noch viele Jahre vor sich. Gelingt es dem Verband, auch weiterhin die nötigen Strukturen bereit zu stellen, dann kann der Weg der Schweizerinnen durchaus erfolgreich sein. Einer wird dann allerdings nicht mehr dabei sein: Trainer Timo Lippuner tritt Ende Jahr zurück.
Sendebezug: SRF zwei, «sportaktuell», 21.08.2019 22:35 Uhr