5/5

Wenn wir nachts träumen, halten wir den Traum meist für real – egal wie absurd die geträumten Geschichten sind. Wir erliegen einer Illusion und leben in einer für wirklich gehaltenen Scheinwelt. Dann aber wachen wir auf und merken: Es war nur ein Traum. Aber woher wissen wir eigentlich, dass unser Leben selbst nicht nur ein langer Traum ist und wir irgendwann aufwachen werden? Können wir mit absoluter Gewissheit wissen, dass das Leben, so wie wir es kennen, kein Traum, sondern die Realität ist?

Aber klar doch! In unserem Leben gibt es keine Widersprüche und Fehler, anders als in unseren Träumen. Zudem ist unser Leben viel zu lang und zu komplex, als dass alles nur ein Traum sein könnte.
Ich wüsste nicht, wie man das ausschliessen könnte. Letztlich können wir nie sicher sein, ob alles Erlebte nur eine Illusion ist. Mit dieser Unsicherheit muss man leben.
Ich kann zwar nicht beweisen, dass ich jetzt nicht träume, aber das spielt auch keine Rolle. Hauptsache, es fühlt sich real an.

Gleichberechtigung, Freiheit, Demokratie und Bildung sind für uns wichtige Werte. Doch haben diese Werte auch eine universelle Gültigkeit oder sind sie bloss für uns hier im Westen eine Richtschnur des Zusammenlebens? Soll jede Kultur ihre eigene Moral haben oder gibt es bestimmte Rechte und Pflichten, die überall auf der Welt gelten sollten? Sind moralische Werte also relativ?

Es gibt keine objektiv gültigen moralischen Werte. Moral ist eine Fiktion, die uns dabei helfen kann, das Zusammenleben angenehmer zu gestalten. Das Gute gibt es nur für uns, an sich ist die Welt weder gut noch böse. Moralische Normen werden nicht entdeckt, sondern erfunden.
Grundlegende Rechte wie etwa die Menschenrechte gelten nicht nur im Westen, sondern auf der ganzen Welt. Wenn gewisse Staaten diese Rechte missachten, so zeigt das nicht, dass die Menschenrechte ein blosses «Produkt des Westens» sind, sondern dass universell gültige moralische Rechte leider nicht überall Beachtung finden.

Unsere Sinne verstellen uns den Zugang zur Wirklichkeit! Farben, Töne, Gerüche und Geschmäcker zeigen uns bloss eine Scheinwelt. In Wirklichkeit gibt es weder Farben noch Töne, sondern nur Wellenlängen und Atome. Wenn wir wissen wollen, wie die Welt wirklich ist, müssen wir Physik betreiben.
Auch die Physik arbeitet mit blossen Modellen. Sie geht von Beobachtungen aus und versucht diese mithilfe von unsichtbaren Kräften und Teilchen zu erklären. Doch ob die Welt wirklich aus diesen Kräften und Teilchen besteht, können wir nie mit Sicherheit wissen. Die Wissenschaft beschreibt nicht die objektive Welt, sondern sie macht unsere Scheinwelt kontrollierbar und voraussagbar.
Wir nehmen nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wahr, etwa ein bestimmtes Frequenzspektrum des Lichts. Tiere nehmen andere Teilaspekte des Ganzen wahr. So ist das, was wir sehen, zwar richtig, aber es ist nicht die ganze Wahrheit.

Für die meisten unserer Überzeugungen haben wir keine stichhaltigen Gründe. Das merken wir, wenn wir mit Andersdenkenden diskutieren. Wir gehen die ganze Zeit von unhinterfragten Voraussetzungen aus, die wir nicht begründen können. Es gibt also keine scharfe Grenze zwischen begründetem Wissen und grundlosem Glauben.
Es gibt Dinge, die man nicht bezweifeln kann. Etwa dass 1+1=2 ist oder dass ich in diesem Moment gerade denke. Wer das Gegenteil behauptet, verwickelt sich in Widersprüche.
Es gibt bestimmte Gründe, die wir nicht wiederum begründen müssen. Zwar können uns Wahrnehmungen und Erinnerungen in einzelnen Fällen täuschen, aber in der Regel sind sie zuverlässig. Das heisst, wir dürfen uns mit gutem Gewissen auf sie berufen. Wenn uns jemand fragt, warum wir wissen, dass es draussen regnet, dann reicht es zu antworten: «Ich habe aus dem Fenster geschaut».

In der Wissenschaft schon, in der Moral jedoch nicht. Den Menschen kann man nicht ändern.
Um zu entscheiden, ob man sich der Realität annähert oder sich von ihr entfernt, müsste man bereits wissen, wie die Realität aussieht. Doch das können wir nicht.
Sowohl die Wissenschaft als auch die Moral machen Fortschritte. Wir haben gelernt, dass die Erde keine Scheibe ist und dass Frauen dieselben Rechte wie Männer haben. Das war beides ein Fortschritt.