Schon die Anreise zeigt: Das ist keines der üblichen Filmfestivals. Die etwa 300 ausländischen Gäste reisen mit einem Charterflug in das südalgerische Wüstennest Tinduf. Dann geht’s mehrere Stunden in einem Konvoi durch die Sahara. Es ist eine Fahrt durch changierende Braun-, Grau- und Ockertöne in flirrender Hitze.
Schliesslich tauchen niedrige Lehmhütten am Horizont auf, Zelte, ein paar Dromedare, und sogar zwei, drei Palmen. Aufgeregte Kinder umringen die Gäste. Willkommen in der Flüchtlingssiedlung Dakhla!
Der vergessene Sahara-Konflikt
An diesem abgelegenen Flecken Erde in der südalgerischen Sahara fanden die ersten sahrauischen Flüchtlinge vor 40 Jahren Zuflucht. Sie waren wochenlang durch die Wüste geirrt, auf der Flucht vor marokkanischen Truppen, die ihre Heimat, die Westsahara, besetzt hatten.
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Inzwischen gibt es fünf solche Flüchtlingssiedlungen. Dakhla ist die abgelegenste von ihnen, und die mit dem geringsten Komfort. Es gibt keinen Strom, nur wenig Wasser, und die meisten Familien haben nicht einmal eine Toilette.
Dass das Filmfestival FiSahara ausgerechnet da stattfindet, ist kein Zufall. Die spanische Regisseurin und Menschenrechtlerin Maria Carrion ist Direktorin des Festivals. Sie sagt: «Wir wollen mit dem Festival die Aufmerksamkeit auf den völlig vergessenen Konflikt in der Sahara lenken. Und wir wollen innerhalb der Flüchtlingsgemeinschaft auf die Menschen von Dakhla aufmerksam machen, die am Rand dieser Gesellschaft leben.»
Ein Akt der Menschenrechte
Maria Carrion fährt fort: «Wir verstehen uns nicht nur als Film-, sondern auch als Menschenrechtsfestival. Nur schon das Zeigen eines Disneyfilms ist ein Akt der Menschenrechte: Hier, wo Flüchtlinge seit Jahrzehnten leben, unsichtbar und vergessen, wo eine ganze Generation nichts anderes gesehen hat als Wüste, Krieg und Not. Und wo es keine Unterhaltung gibt. Kinder haben Rechte: das Recht auf Freizeit, auf Kultur, auf Unterhaltung. Filme hierher zu bringen, ist ein Akt der Menschenrechte. Überhaupt auch nur hier zu sein, ist es auch.»
Gegründet hat das Festival eine Gruppe von Sahrauis und spanischen Filmemachern. Die erste Ausgabe fand 2003 statt. «Das erste Jahr war unglaublich», erzählt Carrion. «Dieser Ausdruck auf den Gesichtern der Leute! Viele von ihnen haben zum ersten Mal einen Film auf grosser Leinwand gesehen. Als erstes haben wir einen Film über Zugvögel gezeigt: eine Vogelperspektive auf Meere, Wälder, auf die Welt.»
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Bunt gemischtes Publikum
Teil des Konzeptes ist, dass die ausländischen Festivalbesucher bei Flüchtlingsfamilien leben. Das gilt auch für die eingeladenen Schauspieler – darunter waren schon internationale Berühmtheiten wie Javier Bardem. «Hier gibt es eben keine Hotels», lacht Carrion. «Und: Bei einer Flüchtlingsfamilie zu leben hilft zu verstehen, wie die Situation hier wirklich ist. Der Austausch zwischen Familien und Gästen ist sehr wertvoll – er führt oft zu längeren Beziehungen.»
Tatsächlich sitzen während der abendlichen Filmvorführungen zahlreiche Gastfamilien zusammen mit ihren Gästen vor der Leinwand. Überhaupt: Das Publikum ist bunt gemischt. Da sind Soldaten in Tarnuniform zu sehen, neben ihnen kichernde weibliche sahrauische Teenager, Mütter mit ihren Kindern, europäische Polithippies und Cinephile. Stühle gibt es nicht, man sitzt auf einer riesigen Decke am Boden. Viele Sahrauis sind aus den anderen Lagern angereist – denn ein solches Festival gibt es nur in Dakhla.
Kein Löwe oder Leopard, sondern ein Kamel
Und das Programm? Neben reiner Unterhaltung – Zeichentrickfilmen etwa – sind viele politische Filme aus der ganzen Welt zu sehen, Dokumentationen und auch Fiktion. Daneben zeigen aber auch junge Sahrauis ihre Werke, denn das Festival bietet seit neustem auch Film-Workshops an. Den Preis für den besten Film übrigens, das «Weisse Kamel», erhält jeweils die Flüchtlingsfamilie, die die Gewinner des Festivals beherbergt hat. Das Festival ist eben anders – bis zum Schluss.