«Hotel Angst» zum Beispiel, Anna Viebrocks und Christoph Marthalers Antrittsproduktion, als sie in Zürich mit Chefdramaturgin Stefanie Carp das Schauspielhaus übernahmen: ein verlottertes Hotelfoyer, kurz vor dem Einsturz, die Etagen verwittert, an der leeren Rezeption nichts als ein trauriges Vasen-Trio.
Solche Räume haben Schule gemacht, und sie sind wie die Trevirahemden, die Schlaghosen und die Sechzigerjahre-Kassenbrillen ihrer Bewohner selbst wieder zur Mode geworden, haben in die urbane Gewöhnlichkeit zurückgefunden, aus der Anna Viebrock sie herausgelöst hatte. Manches hippe Kaffee sieht heute aus wie ein Bühnenbild von Anna Viebrock.
Die Vergangenheit, die nicht vergeht
«Wie weit kann man in die Vergangenheit riechen», fragt sie. Die Wunden der Vergangenheit sind eines ihrer grossen Themen. Ihre Bühnenräume spielen oft mit Vergangenheit, die nicht vergeht, sondern stets anwesend ist. «Damit die Zeit nicht stehenbleibt»: Der Satz hing in einem ihrer prägenden Bühnenbilder in halb heruntergefallenen Lettern neben der Uhr in einem muffigen Wartesaal.
Die Wartesäle mit der Zentralperspektive haben sie bekannt gemacht, Räume, in denen melancholische Theaterfiguren sich verlieren können, mit vergilbtem Chic, oftmals realen Vorbildern nachempfunden, aber ins Surreale gewendet. Anna Viebrocks Räume sind Speicher-Räume. Es sind Räume, die in die Tiefe gehen, immer auch zeitlich. Sie bewahren vielerlei in sich auf, und sie tragen Spuren.
«Woher kommen die Dinge?», fragt Anna Viebrock. Es geht in ihren Räumen nie um ein Abbild der Wirklichkeit, um Illustration oder Illusion, sondern um neue Welten aus alten Fragmenten. Anna Viebrock sammelt Ecken und Winkel der Welt, dokumentiert sie mit der Fotokamera. Sie streift durch die Strassen, guckt in die Höfe und hinter die Häuser, immer auf der Jagd nach dem berührenden, dem inspirierenden Motiv.
Sendungen zum Thema
Eine Tür von da, ein Fenster von dort
Anna Viebrocks Bühnenräume sind hybride Räume. Sie kombinieren unterschiedliche Elemente. Das Authentische und das Utopische. Eine Tür von da, ein Fenster von dort, und das Ganze in einem Grundriss, den ganz nüchtern das Theater vorgibt. Sie baut Kunstwelten, die so konkret und real anmuten, dass man denken könnte, man befindet sich an diesem Ort. Dann verwischen sich die Dimensionen. Der Raum wechselt kaum merklich sein Wesen, ein Aufzug wird sichtbar, der völlig unbrauchbar hoch über dem Boden schwebt, eine Treppe, die nirgendwo hinführt.
Das Zauberische entwickelt sich aus dem Alltäglichen, nicht aus wechselnden Kulissen. Anna Viebrocks Bühnenräume sind meist Einheitsräume. Das Sammeln und Dokumentieren ist das eine, der abblätternde Spiegel der Welt – die utopische Überhöhung ist das andere. Im Spannungsfeld zwischen ihnen beiden, zwischen Vorstellung und Beobachtung, entwickeln Anna Viebrocks Bühnenräume ihren Eigensinn.