Die Ausgangslage ist präzis konstruiert: Ein Terrorist hat einen Airbus mit 164 Passagieren gekapert und steuert ihn auf die vollbesetzte Allianz-Arena in München zu.
Der Bundeswehrpilot Lars Koch steht vor einer schweren Entscheidung: Soll er – ohne einen ausdrücklichen Befehl – das Flugzeug abschiessen, um eine grössere Katastrophe zu verhindern?
Soll er 164 Personen töten, um 70‘000 Leben zu retten? Lars Koch hat entschieden, nun steht er vor Gericht. Im Theater.
Der Zuschauer als Geschworener
Der Regisseur Stefan Meier inszeniert «Terror» am Theater an der Effingerstrasse in Bern als Schweizer Erstaufführung.
Es sei das erste Mal, dass er für eine Inszenierung zwei verschiedene Schlussszenen proben müsse: «Je nachdem, wie das Publikum entscheidet, wird Lars Koch vom Richter freigesprochen oder verurteilt.»
Es sei interessant, dass Ferdinand von Schirach dem Publikum diese Rolle zuschreibt, sagt Stefan Meier. «Die Zuschauer werden in die Pflicht genommen. Sie müssen den Argumenten genau folgen, damit sie am Schluss eine Entscheidung fällen können.»
Ein Gedankenexperiment
Dieser Einbezug und diese Dringlichkeit ist wahrscheinlich der Schlüssel für den Erfolg von «Terror». Als Text ist das Stück eher eine Bleiwüste, ein Gedankenexperiment.
Kritiker haben es eine Proseminararbeit für ein Philosophiestudium genannt; eine fantasievolle szenische Vorstellung bietet es nicht.
Internationale Erfolge
Und doch ist «Terror» das meistgespielte Gegenwartsstück seit der Uraufführung letzten Oktober. Bis Ende dieses Jahres wird es an 40 verschiedenen Theaterhäusern Inszenierungen davon geben, in der Schweiz wird es neben Bern auch noch in Solothurn und St. Gallen inszeniert.
Der Erfolg geht über die deutschsprachige Theaterlandschaft hinaus. In den kommenden Wochen kommt das Stück auch in Japan, Israel und Dänemark auf die Bühne.
Interaktives TV-Event
Auch das Fernsehen interessiert sich für den partizipativen Stoff: Am 17. Oktober zeigen die ARD, ORF und das Schweizer Fernsehen zeitgleich eine prominent besetzte Verfilmung des Theaterstückes.
Im Anschluss an das TV-Event soll das Publikum online abstimmen, ob Lars Koch unschuldig ist oder verurteilt wird.
Menschenleben aufwiegen?
Es sind grundlegende gesellschaftliche und philosophische Fragestellungen, die das Stück aufwirft. Was gilt mehr: Das private Gewissen oder das Gesetz? Kann man Menschenleben gegeneinander aufwiegen?
Ist die Würde jedes einzelnen, wie sie auch in der Schweiz in der Bundesverfassung verankert ist, das oberste Prinzip auch in Ausnahmesituationen wie bei einem Terroranschlag?
In bislang mehr als 90 Prozent der Vorstellungen wurde Lars Koch vom Publikum freigesprochen. Nur gerade bei 24 von insgesamt 385 Vorstellungen kam es zu einer Verurteilung. Wie sich wohl das Schweizer Publikum verhalten wird?
Freispruch oder Verurteilung?
Der Regisseur Stefan Meier vom Theater an der Effingerstrasse hält sich mit seiner eigenen Meinung zurück: «Meine persönliche Haltung hat sich während den Proben immer wieder geändert. Durch die Auseinandersetzung mit den Argumenten habe ich immer wieder neue Aspekte gesehen.»
So will er auch nicht verraten, wie er abstimmen würde. «Ich will niemanden manipulieren, nicht durch meine Regie, aber auch nicht durch meine Meinung.»