SRF Kultur: Bevor Sie die Schauspielschule besuchten, waren Sie Primarlehrer. Leidenschaft oder Vernunft?
Stefan Kurt: Vernunft. Ich brauchte einen Plan B. Ich wusste mit 16 Jahren, dass ich Schauspieler werden wollte. Doch da hiess es, ich sei zu jung. Meine Eltern rieten mir, ich solle erst einen «richtigen» Beruf erlernen für den Fall, dass es mit der Bühne nicht klappen sollte.
Das tat ich dann. Ich mag Kinder, und als Lehrer erhielt ich eine gute Allgemeinbildung. Ich sah das auch als Test: Wenn ich nach der Lehrerausbildung noch immer Schauspieler werden will, dann ist dies ein ernsthafter Berufswunsch und keine jugendliche Flause.
Weshalb gerade Schauspieler?
Ich spielte anderen Kindern ständig was vor, meine Kulisse waren die Briefkästen in unserer Strasse. Es machte mir grosse Freude, andere Menschen zum Zuhören und zum Lachen zu bringen. Jeden Frühling besuchte ich an der Bea-Messe das Radiostudio und tauchte da in eine andere Welt ein.
Einmal rief ich meine Mutter an, imitierte Mäni Webers Stimme und teilte ihr mit, sie hätte einen Preis gewonnen. Sie fiel darauf rein und freute sich riesig über den Gewinn. Als ich nachhause kam und ihr den Streich gestand, wurde sie erst wütend. Das Positive: Ich hatte sie von meinem Talent überzeugt.
Als Kind war ich der Klassenclown, habe Lehrer nachgeäfft und Mitschüler unterhalten. Ich wusste nicht, was es bedeutet, Schauspieler zu sein. Aber ich wusste: Ich will spielen, berühmt werden und in die weite Welt hinausziehen.
Hatten Sie Vorbilder in der Familie?
Nein. Mein Vater arbeitete damals als Prokurist bei der Zürich-Versicherung, meine Mutter war Hausfrau. Der Funke sprang, als wir in der Schule «Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen» aufführten. Da realisierte ich, dass man auf der Bühne darstellen kann, was man will und dass im Theater andere Dinge wichtig sind als im realen Leben.
Wie gelang der Einstieg zur Schauspielausbildung?
Ich bestand die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule Bern auf Anhieb, damit begann ein neues Leben. Wir waren eine eingeschworene Gruppe von rund zehn Studierenden. Jeden Tag studierten, arbeiteten, ja lebten wir zusammen. Mit meinem Studienkollegen Stefan Huber teilte ich eine Wohnung. Daneben habe ich auf dem Bau gejobbt – leider war ich viel zu schwach und ungeschickt.
Nach dem Abschluss verschlug es Sie nach Bochum. Weshalb?
Durch Zufall. Der Regisseur Manfred Karge besuchte auf dem Weg in die Ferien ins Tessin unsere Abschlussproduktion. In Shakespeares «Was ihr wollt» spielte ich Sir Tobias von Rülps. Zusammen mit meiner Studienkollegin Crescentia Dünsser wurden wir für ein halbes Jahr engagiert.
Von Bern nach Bochum ins Mekka der Schauspielkunst – für mich war das ein Lottogewinn. Als das Engagement auslief, ging ich mit ehemaligen Studienkollegen auf Tournee und spielte in zahlreichen Theaterhäusern in Deutschland vor. In Köln erhielt ich die Zusage von Jürgen Flimm, der mir anbot, mich nach Hamburg ans Thalia Theater mitzunehmen. Ich hatte grosses Glück. Vom Einstieg hängt viel ab. Da geht es um mehr als Begabung, letztlich spielt auch das Schicksal mit.
Wie erging es dem jungen Berner in Hamburg?
Die ungewohnte Umgebung der Grossstadt liess mich scheu und zurückhaltend werden. Ich war überfordert und blockiert. Ohne Freunde verlor ich meine humorvolle Art. Ich litt darunter, dass ich meine Energie nicht rauslassen konnte. Zu Beginn durfte ich nur kleinste Rollen spielen.
Ich verbrachte Tag und Nacht im Theater. Etwa zwei Jahre dauerte es, bis ich da eine neue Heimat fand und Rollen bekam, in denen ich mehr als zwei Sätze sagen durfte. Heute sehe ich das positiv: Man liess mir Zeit, mit den Strukturen des Theaters – vom Büro bis zum Dramaturgen – vertraut zu werden. Ich genoss viele Freiheiten für Experimente. Mein grösstes Glück war es, später mit Robert Wilson zusammenzuarbeiten.
Anfang der 1990er-Jahre wurden Sie dank Ihrer Rolle im TV-Krimi «Der Schattenmann» dem deutschen Massenpublikum bekannt. Weshalb der Wechsel zum Film?
Ich wollte etwas Neues ausprobieren. Damals gab es kein Privatfernsehen, keinen Produktionsmarkt. Ich ging davon aus, gelegentlich einen Tag drehen zu können. Doch da erhielt ich diese Rolle, aus zwei wurden 100 Drehtage. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. In Deutschland wurde ich bekannt, in der Schweiz nahm man mich erst viel später wahr – das hat mich gewundert.
Im Gegensatz zu heute – seit 2009 spielten Sie in zahlreichen Schweizer Produktionen mit und wurden mehrfach ausgezeichnet. Wann hatten Sie das erste mal das Gefühl, es als Schauspieler geschafft zu haben?
Als ich am Thalia Theater die Rolle des Jago in «Otello» spielte. Da überwand ich Schwierigkeiten, arbeitete kreativ und selbständig. In dem Moment realisierte ich: «Jetzt bist du ein Schauspieler» – ein privater und schöner Moment, den niemand mitbekam.