84 Jahre alt waren sie beide, Röbi Rapp und Ernst Ostertag, als sie letztes Jahr an die Berlinale reisten, um die Weltpremiere von «Der Kreis» zu feiern. Von jenem Film, der ihre Liebesgeschichte nacherzählt. Eigentlich wollte Regisseur Stefan Haupt einen reinen Spielfilm drehen – aber weil die nötige finanzielle Kooperation mit dem Ausland nicht zustande gekommen ist, stand das Projekt auf der Kippe. Die Dokufiktion war eine Lösung, den Film doch noch zu drehen.
Eine günstigere Lösung – aber vielleicht ist dieser Film dergestalt sogar reicher, als es ein reiner Spielfilm geworden wäre. Stefan Haupt jedenfalls ist im Nachhinein glücklich, dass es so gekommen ist. Und als Zuschauer hat man das Gefühl, es wäre schade gewesen, wenn diese Dokumentarteile gefehlt hätten.
Ein bis jetzt unbekanntes Zürich
Im Film sind also auch Ernst Ostertag und Röbi Rapp in echt zu sehen, sie erzählen zusammen mit anderen Zeitzeugen von der homosexuellen Szene im Zürich der 1950er- und 1960er-Jahre. Illustriert und komplettiert wird das Bild dieses bis jetzt unbekannten Zürich durch Spielfilmszenen, die die Atmosphäre bei den Bällen im Neumarkttheater oder auch in den Redaktionsräumen der Zeitschrift «Der Kreis» wunderbar wiedergeben.
Diese Zeitschrift, titelgebend für den Film, war eine international gelesene Literatur- und Kunstzeitschrift, die homoerotische Texte und Bilder veröffentlichte. «Der Kreis» war ausserdem ein Zirkel für Männer, um sich zu treffen, Theater zu spielen und Feste zu feiern. In der Schweiz war Homosexualiät zwar nicht gesetzlich verboten, in der Gesellschaft aber dennoch geächtet.
Razzien, Vorladungen und ein Tanzverbot
Der Film zeichnet ein gutes Bild dieser Zeit, in der Schwule immer stärker polizeilicher Willkür ausgesetzt waren. Nach zwei Morden im Schwulenmilieu mussten sich Homosexuelle immer wieder Razzien, polizeiliche Vorladungen und sogar ein Tanzverbot gefallen lassen.
«Der Kreis» ist aber vor allem auch ein Liebesfilm. Er erzählt, wie sich Ernst Ostertag und Röbi Rapp im «Kreis» als junge Männer kennenlernen. Und wie Ernst Ostertag seinen späteren Freund erst für eine Frau hält, weil der eine derart perfekte Travestiesängerin ist. (Er singt treffend: «Ich bin so seltsam, ich glaub ich bin ein Teddybär.») Er erzählt auch, wie sie im Verborgenen ihre Liebe leben und wie ihre Familien ganz unterschiedlich sind.
Während Röbi Rapps Mutter den schwulen Sohn und seinen Freund ganz selbstverständlich aufnimmt – die Familie entstammt dem Theatermilieu –, outet sich Ernst Ostertag, der Lehrer aus gutbürgerlicher Familie, erst weit nach der Pensionierung, mit 70.
Ein wunderbarer Liebesfilm
Trotz Repression und verstecktem Paarleben hält die Liebe der beiden seit über 60 Jahre. Am Ende zeigt der Film, wie Röbi Rapp und Ernst Ostertag als erstes schwules Paar in Zürich heiraten – oder wie es korrekt heissen muss: «die Partnerschaft eintragen».
Stefan Haupts Film ist ein wunderbarer Liebesfilm mit zwei sympathischen und charismatischen Protagonisten und ein Stück wichtige, noch nicht oft erzählte Zeitgeschichte der Stadt Zürich.
Die beiden Protagonisten haben sehr eng mit Stefan Haupt zusammengearbeitet und halfen die Bilder zu entwerfen, die nun in den Spielfilmszenen zu sehen sind. Und sie sind sehr zufrieden, dass ihre jahrzehntelange Arbeit für die Schwulenbewegung nun eine grosse Öffentlichkeit bekommt.
Sie haben schon ein Buch über ihr Leben geschrieben, der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit hat das Vorwort verfasst. Nun war der Film an der Berlinale – und gewann den Schweizer Filmpreis in der Hauptkategorie «Bester Spielfilm». Ernst Ostertag und Röbi Rapp sind glücklich, dass sie eine solche Öffentlichkeit für sich und die Schwulengeschichte noch erleben dürfen.