SRF: Ulrich Seidl, der Untertitel zu Ihrem Film «Safari» heisst «Ein Urlaubsfilm über das Töten». Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Ulrich Seidl: Die Formulierung ist natürlich eine Zuspitzung und eine Provokation. Jagd ist ein interessantes Thema – ich frage mich, warum Leute Tiere totschiessen, was in ihnen vorgeht, was ihre Motivation ist und was sie dabei empfinden.
In der Kombination mit einem Urlaub – in Südafrika oder in Namibia – ist das Thema für mich noch komplexer geworden. Damit eröffnen sich Themenkreise, die beim Porträtieren der Jagd in heimischen Wäldern nicht vorhanden wären.
In den letzten Jahren wurden in den sozialen Medien Bilder von Grosswildjägern geteilt. Leute, die mit ihrer Beute posierten, kassierten Shitstorms. Wollten Sie mit «Safari» zeigen, wer hinter solchen Fotos steckt?
Das war meine Absicht. Ich wollte nicht nur zeigen, wie die Jagd funktioniert, sondern was die Jäger empfinden. Wie geht es ihnen, wenn sie sich anpirschen. Wie ist die Anspannung? Der Schuss ist dann die Erlösung. Gefühle werden freigesetzt, man umarmt, gratuliert und küsst sich. Das kannte ich nicht.
Und es ist natürlich auch zu hinterfragen, was hier im Menschen passiert. Es ist, könnte man sagen, vergleichbar mit einem Sexualakt: nach dem Schuss kommt die Erlösung.
Durch das Töten der Tiere finden Menschen zusammen.
Da ist nicht nur die Freude, sondern auch Rührung. Die Familie, die Sie im Film zeigen, ist immer dann zärtlich miteinander, wenn sie ein grosses Tier erlegt hat. Das Töten führt zu liebevollen Momenten. Ein krasser Gegensatz.
Beiträge zum Thema
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- Ulrich Seidl im Gespräch (Kultur-Clip, 24.1.13) Ulrich Seidl im Gespräch (Kultur-Clip, 24.1.13)
Das ist das Fazit. Durch das Töten der Tiere finden Menschen zusammen. Vater und Sohn haben plötzlich eine besondere Nähe. Es ist wirklich so, dass man über das Töten menschliche Nähe erzeugt.
Das ist ein furchtbares Fazit.
Da gebe ich Ihnen Recht.
Es ist Ihr Stil, nicht zu kommentieren, nicht blosszustellen. Aber entlarven wollten Sie ihre Figuren, oder?
Ich beginne keinen Film, wenn ich zu einem Thema schon eine Meinung habe. Ich bin kein Jagdgegner. Ich wollte das Thema erforschen. Und erforschen heisst immer, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die vor der Kamera stehen und die zum Thema das tun, was sie tun sollen.
Ich sehe das nicht als Entlarvung, ich sehe das wertfrei. Es ist ganz eigenartig, was mit diesem Film passiert: Wenn im Publikum Jäger sitzen und Jagdgegner, dann sind beide Gruppen einverstanden. Die Jäger haben nichts gegen den Film. Sie sehen sich selber und finden es gut. Und die Jagdgegner sagen: «Ja genau, wegen dem, was wir hier gesehen haben, muss die Jagd verboten werden.»
Sie interviewen die Jagdtouristen und die Lodgebesitzer, aber die schwarzen Angestellten, die Jagdhelfer, bekommen keine Stimme. Warum?
Weil es der Wahrheit entspricht. Die Schwarzen sind Angestellte auf der Farm und sie haben dort keine Stimme. Mit der bewussten Regieentscheidung, ihnen im Film keine Stimme zu geben, wird das Publikum das mitbekommen. Ich glaube, es wäre ganz kontraproduktiv, würde man sie als Gegensatz zu den weissen Jägern interviewen.
Es ist nicht das Zebra, es ist das Stück. Und es ist auch nicht das Blut, sondern es ist der Schweiss.
Die Tiere werden von den Jägern nur «Stück» genannt. Das Tier wird komplett zum Objekt, auch in der Sprache.
So ist es. Wenn man das Tier erschiessen möchte, wird es versachlicht. Man möchte eine Distanz schaffen und deswegen wird es nicht beim Namen genannt. Es ist nicht das Zebra, es ist das Stück. Und es ist auch nicht das Blut, sondern es ist der Schweiss.
Also selbst das Blut ist tabuisiert. Wenn die Jäger das Tier geschossen haben, bevor sie sich mit dem Tier fotografieren lassen, damit posieren, wird das Blut möglichst unkenntlich gemacht, versteckt, weggewaschen. Man fragt sich schon ein bisschen.
Das Gespräch führte: Brigitte Häring.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 08.12.2016, 09.02 Uhr