Mira (Manon Pfrunder) ist in der Schweiz aufgewachsen. Ihre Berner Mutter hat ihr erzählt, ihr kurdischer Vater sei vor ihrer Geburt in seiner irakisch-kurdischen Heimat verschwunden. Im Kampf gegen die Schergen von Saddam Hussein.
Aber dann findet Mira auf dem Dachboden versteckte Briefe des Vaters und ein Medaillon. Voller Wut über die Lüge der Mutter, und ohne ein Wort kurdisch zu sprechen, reist sie in die Fremde. Ihr einziger Anhaltspunkt sind die diversen Absenderadressen auf den Briefen, ihr Antrieb eine vage Sehnsucht.
Die «Schnalle» kann kein Kurdisch
Schon in der kurdischen Hauptstadt Erbil trifft Mira auf viel Bürokratie, einige Sprachbarrieren und seltsame Reaktionen bei ihren Erkundigungen nach ihrem Vater. Und auf einen jungen Mann, der ihr ungeniert auf Deutsch antwortet, als sie ihn im Verwaltungsgebäude auf Englisch nach dem Weg fragt.
Ramo (Ismail Zagros) taucht auch in der nächsten Stadt ihrer Suche wieder auf und begründet das ihr gegenüber ungeniert damit, dass er auf Arbeitssuche sei, ein Auto habe und sie doch dringend einen Dolmetscher und Fahrer brauche. Als Zuschauer wissen wir zu dem Zeitpunkt allerdings bereits, dass er auf Mira gewartet hat. Am Telefon hat er jemandem erklärt, sie sei jetzt angekommen. Und «die Schnalle» könne kein Wort Kurdisch.
Wer ist dieser Ramo?
Ist die erste Exposition der Geschichte, Miras Einführung und Motivation in der Schweiz, noch etwas holprig und allzu zielstrebig inszeniert, nimmt der Film in Kurdistan definitiv Fahrt auf.
Spannungsmotor ist die Thrillerdramaturgie: der Umstand, dass wir als Zuschauer wissen, dass Ramo mit Mira kein ehrliches Spiel spielt. Aber seine Motivation erschliesst sich auch dem Publikum nur langsam. So langsam, dass Mira und wir Zeit haben, den jungen Mann als Menschen kennenzulernen.
Kalaschnikow im Kofferraum
Ebenso erkennen wir zusammen mit Mira, was all diese kurdischen Regionen zwischen Syrien, Irak und der Türkei, dieses teilautonome Kurdistan und all die umkämpften Grenzgebiete, zu unberechenbarem Territorium macht.
So erklärt Ramo die Kalaschnikow, die Mira im Kofferraum seines Mercedes findet, damit, er sei Peschmerga – ein Soldat des freien Kurdistan. Aber schon beim nächsten Peschmerga-Kontrollposten wird er von den Soldaten zusammengeschlagen – bis ein Vorgesetzter seinen Ausweis kontrolliert und ihn mit Mira ziehen lässt.
Mira und Ramo müssen sich hinterfragen
Ohne zu viel zu verraten darf man sagen, dass «Die Schwalbe», der die diesjährigen Filmtage in Solothurn eröffnete, konsequent damit spielt, dass die beiden Hauptfiguren ihre Vorstellungen von einander und von sich selber und den Verpflichtungen ihrer Herkunft schliesslich radikal hinterfragen müssen.
Beiden bleibt als Gewissheit schliesslich nicht das, worauf sie sich glaubten verlassen zu können. Dafür bleibt das, was sie als Menschen auszeichnet: Die Liebe ist stärker als der Hass. Selten hat ein Film diesen so oft nachlässig hingeworfenen Satz stärker umgesetzt, und selten einer tragischer.
Eine Geschichte heilloser Verwicklungen
«Die Schwalbe» ist kein geschliffener Spielfilm. Man merkt ihm an, dass sein Drehbuch über 15 Jahre hinweg auf seine Umsetzung warten musste. Nicht nur die komplexen Wege der Filmförderung standen seiner Umsetzung im Weg. Auch der Lauf der Geschichte hat am Plot herumgekratzt – wenn auch mit erstaunlich wenig Konsequenz.
Man glaubt Mano Khalil, wenn er im Gespräch mit Matthias Lerf von der «Sonntagszeitung» erklärt, die Situation der Kurden habe sich eigentlich seit 80 Jahren nicht verändert. Das, was der Film zeigt, sind die heillosen Verwicklungen von Politik, Traditionen, Loyalitäten und gnadenlosem Opportunismus.
Aus all dem eine Geschichte zu zimmern, die zu Herzen geht, schockiert und nachwirkt: Das ist eine Leistung. Es mag elegantere Filme geben. Aber nur wenige, die so ehrlich wirken – so verzweifelt und zugleich so hoffnungsvoll.
Kinostart: 4.2.2016