«Driften» ist Regisseur Karim Patwas erster abendfüllender Film. Um Karim Patwa einen «Jungfilmer» zu nennen, muss man den Begriff «jung» jedoch etwas dehnen: Der Regisseur mit Schweizer Mutter und indischem Vater ist 47. Er dreht zwar seit fast 20 Jahren Filme, «Driften» aber ist sein erster langer Kinospielfilm.
Zunehmendes Unbehagen
Gleich drei Auszeichnungen hat er am Filmfestival Max Ophüls Preis für «Driften» bekommen. Einen davon für das Drehbuch, das Karim Patwa zusammen mit Michael Pröhl geschrieben hat. Und das hat es in sich: Die Geschichte dreht sich um den jungen Mann Robert, der soeben nach vier Jahren aus dem Gefängnis kommt. Bei einem Raserrennen hat er ein kleines Mädchen tot gefahren.
Kurz nach seiner Rückkehr entdeckt er im Tram eine Frau, vermutlich etwa zehn Jahre älter als er. Er entwickelt eine zunächst unverständliche Faszination für sie, will sie kennen lernen. Schnell ahnt man, wer diese Frau namens Alice ist; spätestens als sich Robert ihr mit falschem Namen vorstellt. Es beginnt eine freundschaftliche Annäherung, der man mit zunehmendem Unbehagen zuschaut. Daneben versucht Robert im Leben wieder Fuss zu fassen. Er beginnt einen neuen Job, nähert sich seiner Freundin wieder an und sucht Kontakt zu seiner alten Clique.
Ohne seine Schauspieler wäre der Film nicht, was er ist
Karim Patwa versteht es meisterlich, auf der Klaviatur der Dramatik zu spielen: Der Film geht tief, vergisst aber nie den Humor – und überrascht mit charmanten Einfällen. Dann wieder wird er zum hochspannenden Action-Movie, wenn Robert trotz seines Vorsatzes, nicht mehr zu rasen, mit seinem neuen Arbeitskollegen Sandro zum «driften» fährt. Wenn er auf 200 km/h beschleunige, fühle er sich wie auf Wolken, beschreibt Robert seine Gefühle. Die Wolken, von denen er spricht, werden im Magen der Zuschauer zu Klumpen.
Aber Patwa tappt nicht in die Falle, aus seiner grossartigen Geschichte einen Adrenalin-Thriller zu drehen. Der Fokus liegt anderswo und das macht diesen Film so besonders: Primär ist «Driften» das Psychogramm zweier Menschen, die tragischer nicht miteinander verbunden sein könnten. Ohne Schauspieler, die das vermitteln können, die mal sympathisch, mal völlig verloren wirken, wäre dieser Film nicht, was er ist.
Ein Unbehagen, das so schnell nicht vergeht
«Verdingbub» Max Hubacher ist Robert: Mit unglaublicher Intensität spielt er den jungen Mann, der versucht sich den Geistern seines bösen Schicksals zu stellen. Neben ihm ebenso intensiv ist Sabine Timoteo als Alice: Die Mutter, die ihr Kind verloren hat. Unter der höflich netten Oberfläche der Englischlehrerin scheint immer wieder die Trauer, Verbitterung und Wut über den Verlust des Kindes durch.
Formal kann der Film durchwegs mit der guten Geschichte und dem grossartigen Schauspiel mithalten. Wunderbare Kameraeinfälle und ein toller Schnitt runden diesen Film ab. So richtig gut geht es einem nicht danach. Da ist zwar zum einen das gute Gefühl, das man immer bekommt, wenn man wieder mal einen wirklich guten Film gesehen hat. Aber da ist auch ein Unbehagen, das so schnell nicht vergeht. Und auch dies spricht für die Kraft dieses Films.