«Blue Ruin» verdankt seine Struktur dem Backcountry-Survival. Jenen Filmen von Deliverance über Southern Comfort bis hin zu Wrong Turn und all seinen Vorgängern und Ablegern, in denen eine Gruppe Auswärtiger im Territorium skrupelloser Eingeborener ums Überleben kämpft.
In «Green Room» sind es die Mitglieder einer jungen Punk-Band, die in ihrem Van von Gig zu Gig fahren und meistens nicht einmal das Geld fürs Benzin zusammenbekommen. So landen sie schliesslich einen Auftritt in einem abgelegenen Hardrock-Schuppen für Neonazis und White Supremacists.
Gefangen im Green Room
Das Konzert ist einigermassen erfolgreich, nachdem die erbosten Gäste über die anfängliche Provokation einer Cover-Version von «Nazi Punks Fuck Off» der Dead Kennedys hinweggekommen sind. Aber dann vergisst Amber (Imogen Poots) ihr Telefon im Garderoberaum, die Kids gehen nochmal zurück und werden Zeugen eines Mordes an einer jungen Frau.
Damit sind sie gefangen in diesem Green Room, der Chefideologe und Besitzer des Schuppens Darcy (Patrick Stewart in einer wunderbar anderen Rolle) ordnet ihre Eliminierung an.
Punks sind die Hippies von gestern
Der Plot bietet Saulnier eine breite Palette an Möglichkeiten. Schon die Einführung der positiv besetzten Gruppe, einer der Fallstricke der meisten Genre-Filme, gelingt ihm grossartig. Die Kids wachen in ihrem Van mitten in einem Maisfeld auf, weil der Fahrer offenbar als letzter eingeschlafen ist und den Motor nicht abgestellt hat. Darum machen sich Amber und Pat auch mit Klappvelo und Kanister auf, um auf einem via Google Maps georteten Parkplatz in der Nähe Benzin abzusaugen.
Die jungen Punks sind die Hippies von gestern, Träumer an der Schwelle zum Erwachsen werden, Idealisten mit einem eigenen Ethos und eigenen leisen Zweifeln. Zumal sich der Erfolg für die Band nie wirklich einstellen wollte und sie sich darum ein Ethos der Live-Performance zurechtgelegt haben: Die Energie lässt sich nicht konservieren.
So gut wie keine Backstory
Auch bei ihren späteren Gegnern, den Neonazis, öffnet Saulnier eine weite menschliche Palette. Neben dem eiskalten Sektenführer, der seine Elite-Sturmtruppe mit roten Schnürsenkeln an den Kampfstiefeln auszeichnet und kein Problem damit hat, «true believers» als Bauernopfer einzusetzen, gibt es Zweifler, Überläufer, Abtrünnige und gar ein verliebtes Paar, dessen geplante Flucht sich als Anlass für das ganze Drama entpuppt.
Und es gibt eine Drogenküche im Keller unter dem Green Room. Aber auch die ist nur ein Plot-Device, eher der Set-Geografie verpflichtet.
Über etwa die Hälfte der 94 Minuten baut Saulnier sorgfältig die Situation auf, führt Figuren ein, skizziert Charaktere und braucht erstaunlicherweise so gut wie keine Backstory für seine jungen Protagonisten. Sie sind allesamt klar gezeichnete Individuen, ihre Herkunft spielt keine Rolle.
Seltsame Geschmack-Geständnisse
Umso witziger darum zwei wiederkehrende Gags: Der eine besteht darin, dass einer der Jungs sich in der ausweglosen Situation (drei der Gruppe sind schon tot, seine linke Hand wurde halb abgehackt) an ein Paintball-Spiel erinnert, in dem er und sein Freund von einer Gruppe taktisch versierter Irak-Veteranen «abgeschlachtet» wurden. Die Erzählung ufert aus und kommt erst nach längerem Unterbruch zu einem nur halbwegs relevanten Ende. Im Gegensatz zur filmischen Realität, an der die Kids gleichzeitig wachsen.
Der zweite Backstory-Gag besteht in der Frage nach der «Desert-Island»-Platte der jungen Musiker. Ein eben so enthusiastischer Radio-Punk stellt sie und verunsichert die Kids damit nachhaltig. Denn sie sind offensichtlich noch ihrer Punk-Ideologie verpflichtet, aber musikalisch längst weiter – auch in der Musikgeschichte. So tauchen dann im Moment grösster Gefahr plötzlich seltsame Geschmack-Geständnisse auf.
«Green Room» ist ein überaus effizienter Thriller, stark geschrieben und noch stärker und klarer umgesetzt. Vor allem darin erinnert der Film an Walter Hill, den noch immer ungekrönten König des amerikanischen Genre-Kinos der 1970er- und 1980er-Jahre.
Während aber Hill erst einmal die Erkenntnis umsetzte, dass Genre-Filme als Zeitgeist-Kommentare durchaus bissig sein können («Southern Comfort») oder gar trendbildend («The Warriors»), geht Saulnier einen evolutionären Schritt weiter und kombiniert Autorenfilm und Genrekino. Bei weniger begabten Filmemachern kann das in Kunsthandwerk abdriften. Bei Jeremy Saulnier bleibt es blutig, wo nötig, spannend, wo möglich, und intelligent von der ersten bis zur letzten Dialogzeile.