Ob «Amores Perros», «21 Grams» oder «Babel»: Das Werk des Mexikaners Alejandro González Iñarritu polarisiert. Den einen sind seine Filme zu überfrachtet, zu depressiv und gewalttätig und gleichzeitig zu moralisierend. Die anderen lieben seine vielschichtigen, atemlos vorangetriebenen Storys, in denen verschiedene Charaktere gleichzeitig mit allen Problemen der Welt konfrontiert werden.
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Was seinen aktuellsten Film «Biutiful» (2010) von den Vorgängern unterscheidet, ist nicht nur eine lineare Erzählweise, sondern die Konzentration auf eine einzige Hauptfigur: den Kleinganoven Uxbal, der vom Spanier Javier Bardem verkörpert wird.
Am dreckigen Rand der Gesellschaft
Uxbal hetzt durch die dreckigen Strassen seiner Heimatstadt Barcelona. Er manövriert durchs Leben auf der untersten Hierarchiestufe einer erbarmungslosen Gesellschaft von Kleinkriminellen, Menschenhändlern, Dealern und korrupten Cops. Mit dem Geld aus den illegalen Geschäften will er seinen beiden Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Ein steter Kampf, denn Uxbal leidet zunehmend an seinem Mitgefühl. Er besitzt weder die nötige Kaltblütigkeit noch die Härte für eine solche Drecksarbeit. Seine wahre Begabung liegt woanders: Er kann mit den Toten sprechen.
Obwohl er ihm ein vertrauter Begleiter ist, verändert sich Uxbals Verhältnis zum Tod im Laufe des Films: Durch die fatale Krebsdiagnose wird er mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Und als er den Tod von 25 chinesischen Immigranten mitverschuldet, muss er versuchen, sich selbst zu vergeben.
Barcelona war nie hässlicher
«Biutiful» wird damit zur Geschichte eines Märtyrers, dessen Krebsgeschwür für die kranke Gesellschaft steht. Die urbane Passionsgeschichte schreckt auch auf Bildebene nicht vor metaphorischer Wucht zurück. Quasi-dokumentarische, grobkörnige Bilder von trostlosen Strassenzügen, Hinterhöfen und Kellern – Barcelona war nie hässlicher – wechseln sich ab mit dem Blick auf die Menschen inmitten dieses Drecks. Und dazwischen immer wieder Close-ups von Uxbal.
Iñarritu lädt die ganze Wucht seiner Erzählung auf die müden Schultern seines Protagonisten, dessen Perspektive den Ton bestimmt. Aschfahl im kühlen nächtlichen Licht, mit dem brennenden Blick eines Verzweifelten unter den schweren Lidern versucht er, kurz vor seinem Tod sein Leben zu ordnen. Und Vergebung zu finden.
Es ist nicht der erste Film, in dem Bardem eine Figur spielt, die mit dem eigenen Tod konfrontiert ist. Am eindrücklichsten gelang ihm das wohl in «Mar Adentro» (2004), wo er als Tetraplegiker für sein Recht auf einen selbstbestimmten Tod kämpfte. Mit minimalster Mimik drückte er seine Gefühlszustände aus, dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Bardem: Ein Star mit Mut zur Menschlichkeit
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Keine Frage: Trotz seines Star-Status, seiner klatschspaltenträchtigen Heirat mit Penélope Cruz und seiner Rolle als Bond-Bösewicht ist Bardem Charakterdarsteller geblieben. In «Biutiful» zeigt er sich von seiner verletzlichsten Seite. Oder wie es der kürzlich verstorbene Kritikerpapst Roger Ebert treffend formulierte: «Bardem, der für ‹Biutiful› eine Oscar-Nomination erhielt, ist ein durch und durch menschlicher Schauspieler. Er kann gut aussehen oder hässlich, hart sein oder zärtlich oder auch ein Monster (wie in ‹No Country for Old Men›). In ‹Biutiful› leidet er und ist ein guter Mensch, der hauptsächlich daran leidet, dass er es nicht schafft, gute Dinge zu tun.»