Vielleicht nicht ganz zufällig findet Jeffrey, der Hauptdarsteller von «Blue Velvet» (1986), ein abgeschnittenes menschliches Ohr im Gras. Dieses schaurige Detail führt direkt in die Klangwelt des David Lynch, für den Musik und Soundeffekt eine Art Droge sind, die langsam in die Innenwelt des Zuschauers eindringt.
Sprache, Rhythmus, Farben und Musik verschmelzen bei Lynch zu einem Filmerlebnis, das alle Sinne anspricht. Ein Erlebnis, das den Ohren des Publikum neue Welten eröffnet.
Lynchs Leib- und Magenkomponist
«Mit Angelo Badalamenti arbeitete ich seit ‹Blue Velvet› zusammen. Er ist wie ein Bruder für mich», sagt David Lynch etwas pathetisch über seinen Leib- und Magen-Komponisten. Der New Yorker Komponist Angelo Badalamenti hat zu beinahe allen Filmen von David Lynch die Musik komponiert und ist aus dem klingenden Lynch-Universum gar nicht mehr wegzudenken.
«Blue Velvet» von 1986 war der Beginn einer Reihe von Filmmusiken, die Schnulze und blanken Horror überaus raffiniert zu kombinieren verstanden. Die vermeintliche Unschuld und dörfliche Harmonie kippt ins Dämonische, wenn Nachtgestalten zum Leben erweckt werden und Schauspieler Dean Stockwell zu Roy Orbisons Schlager «In Dreams» seine dämonische Travestienummer aufführt.
Ein perfektes Adagio für «The Elephant Man»
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Als Lynch an seinem Film «The Elephant Man» arbeitete, hörte er das Adagio for String von Samuel Barber. Das musste unbedingt in seinen Film vorkommen. Er hörte sich neun Versionen an – aber keine sagte ihm zu. Erst die Aufnahme mit dem Dirigenten André Previn traf den Punkt: «Das ist es», sagte Lynch. Und warum?
Previns Version bestand natürlich aus den gleichen Noten, aber es lag an der Art, wie er es spielen liess. Das Wie ist für alle Lynch-Soundtracks die entscheidende Nuance.
«Twin Peaks» – traumwandlerisch und bleischwer
Als Angelo Badalamenti David Lynch das Twin Peaks-Thema vorspielte, noch bevor überhaupt die Dreharbeiten begonnen hatten, war das dieser magische Lynch-Moment. Traumwandlerisch und bleischwer-verschleppt spielte Badalamenti seine «Twin Peaks»-Inspiration vor. Es war ein Treffer: Lynch musste tatsächlich weinen.
«Twin Peaks», jenes Holzfäller-Städtchen in Oregon, das von einer schönen Wasserleiche auf den Kopf gestellt wird, und wo so manch andere Leiche und Perversion an die Oberfläche geschwemmt werden, erleben wir auf der Tonspur als eine wabernde Parallelwelt. Lynch-Land eben.
Ein klanggewordener Albtraum
Temporeicher und brutaler legt David Lynch seinen kaleidoskopartigen Soundtrack zum Film Noir «Lost Highway» an: Da röhrt Rammstein herrisch und altdeutsch, und David Bowie singt sein nervös-zuckendes «I am deranged». Eine klingende Achterbahnfahrt durch verborgene Ängste und Abbild einer Schizophrenie. Die Tonspur dazu ist der klanggewordene Albtraum eines Cineasten, der Fotografie, Darstellende Kunst und Transzendentale Meditation in seine surrealen Filmwelten einsickern lässt.
Seit einiger Zeit ist Lynch selbst als Musiker aktiv und nimmt sich dabei gerne auf die Schippe: Ich bin kein Musiker und auch kein Sänger, aber ich mache Musik und singe. Seine Fan-Gemeinde weiss es zu schätzen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 19.01.2016, 16:20 Uhr.