«Narwale, ganz viele Narwale!», Rasmus freut sich, als er die silbern glänzenden Walrücken im Wasser an der Eiskante sieht. Rasmus ist Jäger. Mit seinem Schwiegersohn und einem anderen Jäger erlegen sie einen Wal – vom Ufer aus, nur mit Harpunen und Gewehren. Das erste Stückchen Walfett essen sie – mit Aromat gewürzt – direkt vor Ort. Der Fang ernährt sie und die ganze Gemeinde Qaanaaq im Norden Grönlands, auch Thule genannt, während 2 Wochen. Einen kleinen Teil können sie sogar noch verkaufen.
Gegensätzliche Orte mit ähnlichem Schicksal
Rasmus und seine Familie können von der Jagd auf dem Eis leben. Das ist dort, im Norden Grönlands, noch möglich. Im Winter fahren sie mit Hundeschlitten über das gefrorene Meer, bis an die Kante, wo sich Robben und Wale tummeln. Noch können sie das – aber das Eis wird dramatisch dünner.
Der Schweizer Dokumentarfilmer Matthias von Gunten ist für seinen Film über die unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels in zwei extreme Gebiete gereist: in den Norden Grönlands nach Thule und in die Mitte des pazifischen Ozeans, auf den winzigen Inselstaat Tuvalu.
Gegensätzlicher könnten die Orte nicht sein – und dennoch verbindet sie etwas: Während in Thule die Sommer länger werden und das Eis nicht nur auf dem Meer, sondern auch auf dem Land schmilzt, steigt das Wasser in Tuvalu. Dort können die Bewohner bald kein Gemüse mehr pflanzen, weil das Süsswasser versalzt und das Meer immer mehr die dünne Humusschicht über dem Sand fortspült.
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Sehnsuchtsorte, dem Untergang geweiht
Matthias von Guntens Film kommt ganz ohne einen subjektiven Kommentar des Filmemachers aus. Ein paar wenige Zwischentitel liefern Informationen. Ansonsten sprechen die Menschen in diesem Film. Die Menschen, die buchstäblich an den Rändern unserer Welt leben, die noch sehr naturverbunden sind. Ausgerechnet sie, die so weit auseinander sind, teilen das gleiche Schicksal – und ausgerechnet sie, die so industriefern leben, leiden unter den letzten 100 Jahren Industrialisierung.
Diese grausame Ironie wird noch verdeutlicht durch die wunderbaren Aufnahmen des Zürcher Kameramanns Pierre Mennel. Es sind Sehnsuchtslandschaften, die hier gezeigt werden: die endlosen, makellos weissen Weiten der eisigen Gebirgs- und Meereslandschaften im Norden und die fast ebenso weissen Palmenstrände winziger Pazifikinseln.
Die Welt in Tuvalu wird untergehen
Landschaften, die es so bald nicht mehr geben wird. Das Eis schmilzt und das Wasser steigt. Und wie wird es dann den Menschen ergehen? Filmemacher Matthias von Gunten lässt die Menschen selber über ihre Zukunft sinnieren.
Der Jäger Rasmus mutmasst, er könne wohl noch 15 bis 20 Jahre lang auf dem Eis jagen. Danach, so überlegt er, müsse er wohl Fischer werden. Obwohl er dazu nicht qualifiziert sei. Aber man müsse sich halt der Natur anpassen, auch wenn die Veränderung menschengemacht sei.
Die Menschen in Tuvalu können sich bald nicht mehr anpassen. Ihre Welt wird sich nicht nur verändern, sondern untergehen. Viele sind schon ausgewandert, nach Neuseeland. Und die Älteren ergeben sich ihrem Schicksal mit Galgenhumor. Mit einem trockenen Lachen sagt einer der Alten im Dorf: «Wenn die Zeit kommt, sind wir halt weg, finished.»