- Am 31. Oktober 2017 sind genau 500 Jahre vergangen, seit Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug.
- Für Luther-Kenner Friedrich Schorlemmer ist Reformator Luther besonders als «Lehrmeister des Widerstandes» zentral.
- Luthers Rhetorik wurde zu DDR-Zeiten verwendet, um Widerstand gegen das Regime zu leisten.
«Futtern wie bei Luthern»
Das 500-jährige Reformationsjubiläum wird in der Lutherstadt bis in die letzte Hausecke gefeiert. Wer am Bahnhof in Sachsen-Anhalt aussteigt wird in der «Lutherstadt Wittenberg» begrüsst.
In den Buchhandlungen türmen sich Berge von Luther-Neuerscheinungen bis zu «Futtern wie bei Luthern». Nur an einer Hauswand steht zu lesen: Hier war Luther nie zu Gast.
Dafür wohnt – natürlich – in der Lutherstrasse ein Nachfolger des grossen Reformators. Friedrich Schorlemmer war 14 Jahre lang Hauptprediger jener Schlosskirche, an die Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen anschlug. Ein «Anschlag» mit Folgen: Die römisch-katholische Kirche wurde gespalten, es war die Geburtsstunde der evangelischen Kirchen.
Schwerter zu Pflugscharen
Ein Jahr lang wird nun des Reformators und seiner Reformation gedacht. Und des grossen Einflusses, den Martin Luther noch heute auf uns hat: «Er war ein Lehrmeister des Widerstands», sagt Luther-Verehrer Schorlemmer.
Schorlemmer selbst leistete viel Widerstand gegen das korrupte SED-Regime. So organisierte er 1983 eine Aktion im Hof der Wittenberger Schlosskirche, in der – nach einem Bibelwort – Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet wurden.
Ein Akt, der der DDR-Führung gar nicht gefiel, weil er zum Symbol der gesamten Friedensarbeit der DDR wurde. In ihrem «Recht auf Widerstand» beriefen sich jene evangelischen Theologen – die einen grossen Teil der friedlichen Revolution der DDR ausmachten – immer wieder auf Martin Luther, der schon im ausgehenden Mittelalter von der Freiheit eines Christenmenschen gesprochen hatte.
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Luther auf dem Alex
Martin Luther war wortgewaltig. Und da steht ihm 500 Jahre später Friedrich Schorlemmer nicht nach. Seine Predigten sind ein steter Wechsel von schmetternder und fast flüsternder Rhetorik. Er ist sehr fromm und politisch zugleich.
Mitten der Monate des ostdeutschen Aufruhrs rief Schorlemmer 1989 vor über 800‘000 Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz das Lutherwort aus: «Lasset die Geister aufeinanderprallen; die Fäuste aber haltet stille.» Ein Aufruf zum wehrhaften Pazifismus.
Unbegrenzter Optimismus
In Schorlemmers Wohnung einen Sitzplatz zu finden, ist nicht ganz leicht. Berge von Büchern besetzen Tisch, Stühle und die Gänge.
Hier schreibt Schorlemmer, der 1993 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, Buch um Buch. Sein letztes heisst: «Unsere Erde ist zu retten» und zeugt – bei aller Kritik an unserer Klimapolitik – von einem fast unbegrenzten Optimismus.
Protestantischer Papst-Fan
Der Ur-Protestant Friedrich Schorlemmer bewundert die Offenheit und Spontanität von Papst Franziskus. Seitdem der Papst aus Argentinien jugendlichen Strafgefangenen die Füsse gewaschen hat, würde er ihn am liebsten «Bruder Franziskus» nennen.
Dass der katholische Papst zur grossen Reformationsfeier des Lutherischen Weltbunds ins schwedische Lund reist, verdient Schorlemmers Respekt.
Und doch betont der Pfarrer, dass es bis heute viel Trennendes zwischen den Reformierten und der katholischen Kirche gebe. Vor allem die Priesterherrschaft über die Laien lehnt er absolut ab.
Indessen: Auch die evangelischen Kirchen bräuchten heute dringend ein «Aggiornamento» – eine Erneuerung, sagt Schorlemmer.
Wichtiger als Kirchentrennung
Gleichzeitig verweist er darauf, dass Protestanten und Katholiken zu DDR-Zeiten viel enger zusammengearbeitet hätten. Der gemeinsame Widerstand gegen das Regime sei wichtiger gewesen, als das Lamentieren über die Kirchentrennung.
Auf die Frage, ob er jemanden kenne, den es störe, dass nach 500 Jahren die christlichen Kirchen noch immer getrennt seien, lacht Friedrich Schorlemmer: «Mich!»