Für viele Türken grenzte es an Gotteslästerung, als die türkische Schauspielerin und Buchautorin Pelin Batu im vergangenen Jahr das islamische Opferfest kritisierte. «Ich wünschte, es wäre verboten», sagte die bekennende Tierfreundin vor laufenden Fernsehkameras. «Mir tut es weh, dass all diese Schafe geschlachtet werden.»
Die Reaktionen liessen nicht lange auf sich warten. Vor allem im türkischen Internet schlugen Pelin Batus Worte hohe Wellen. Erst recht, als sie in einem weiteren Interview offen zugab, sie halte nicht nur nichts vom Opferfest, sondern glaube auch an keinen Gott: Sie sei Atheistin.
Glaubensfreiheit – nur auf dem Papier?
Christen, Juden, Buddhisten: Auf dem Papier herrscht in der türkischen Republik Glaubensfreiheit. Dass Menschen anderen Religionen angehören, können weite Kreise der türkischen Gesellschaft akzeptieren. Jemand aber, der an gar nichts glaubt, stösst meist auf völliges Unverständnis. Atheismus – das ist ein Tabu am Bosporus.
Umso mutiger schien da die Initiative von Tolga Inci aus Istanbul, der im vergangenen Jahr den ersten Atheismus-Verein der Türkei – und der gesamten islamischen Welt – gründete. «Wir alle haben Bekannte, die wegen ihres Unglaubens ungerecht behandelt oder beleidigt wurden», so Inci damals. «All denen wollen wir eine Tür bieten, an die sie klopfen können um Unterstützung zu erhalten».
Mehrere Psychologen und Anwälte stehen dem Verein dafür ehrenamtlich zur Seite. Ausserdem wurde eine kostenlose Telefonhotline ins Leben gerufen. Sie richtet sich an Türken, die wegen ihres Unglaubens ihre Arbeit verloren haben, die sich nicht trauen mit Familie und Freunden darüber zu sprechen oder deren Ehen an dem Streit über Glaube oder Nichtglaube zerbrochen sind.
Doch längst nicht allen Türken gefällt dies. Als Perverse, Glaubens-Killer und Verräter wurden die Atheisten seit ihrer Vereinsgründung beschimpft. Aufgrund von Morddrohungen mussten sie gar Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Website des Atheisten-Vereins wurde gesperrt
«Diejenigen, die nicht an Gott glauben, werden dafür am Ende bezahlen», verkündete die Zeitung Milli-Gazete ihren überwiegend streng religiösen Lesern in einem ausführlichen Artikel. Und weiter: «Sie wollen ihre Propaganda des Unglaubens verbreiten. Es ist unerklärlich, wie der Staat diese Gründung erlauben konnte, deren Ziel es ist, muslimische Köpfe in unserem islamisch geprägten Land zu vergiften.» Ähnliche scheint man auch bei dem Gericht in Ankara zu denken, das die Website des Vereins nun sperren liess. Auf ihr würde Volksverhetzung betrieben, so die Begründung.
Missionsarbeit, Propaganda, Volksverhetzung: Gründer Tolga Inci ist fassungslos gegenüber diesen Vorwürfen. Sein Verein habe keine Geheimnisse, betont er. Wer Zweifel oder Fragen habe, sei jederzeit herzlich willkommen. «Wir haben definitiv kein Problem mit religiösen Menschen», erklärt er. «Aber wir haben ein Problem mit all denen, die uns beleidigen und diskriminieren. Die Leute rufen jetzt: Oh nein, was wird mit unserer Religion passieren? Aber keiner fragt sich, was seit Jahren mit uns und unseren Rechten passiert ist.»
Ein Beispiel dafür ist das Recht auf nichtreligiöse Bestattung – bisher undenkbar am Bosporus. Seit Monaten fordern Tolga Inci und seine Mitstreiter öffentlich Krematorien für eine – im Islam verbotene – Feuerbestattung.
99 Prozent der Türken bezeichnen sich selbst als gläubige Muslime. Kein Wunder, dass die Gemüter bei solchen Forderungen hochkochen. Ob sie Angst habe, fragte ein Talkshow-Moderator eines der weiblichen Gründungsmitglieder kürzlich. Natürlich, lautete die Antwort der Frau. «Aber Angst hilft uns nicht weiter. Wir haben diesen Verein gegründet um zu sagen: Wir Atheisten sind auch Bürger dieses Staates und als solche werden wir unsere Rechte verteidigen.»
Sendung: SRF2 Kultur, Kultur kompakt, 6. März 2015, 16.50 Uhr.