Der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi, geboren 1970, widmet sein Tagebuch seiner Mutter. Es handelt sich um das erste Dokument eines Guantánamo-Häftlings, das von den US-Behörden autorisiert worden ist. Slahis Anwältinnen haben erfolgreich für die Veröffentlichung gekämpft. Larry Siems, Direktor des PEN American Center in New York, gibt Slahis Tagebuch jetzt heraus.
Es ist der Bericht eines Mannes, dem die US-Geheimdienste vorwarfen, er sei massgeblich an den Terroranschlägen vom 11. September 2001 beteiligt gewesen und habe zwei Jahre zuvor einen Bombenanschlag auf den Flughafen in Los Angeles geplant. Damals geriet Slahi erstmals ins Visier der US-Geheimdienste.
Slahi schien das «klassische Profil» eines islamistischen Attentäters zu haben: Ein junger Mann aus einem islamischen Land, der in Deutschland studiert und eine technische Ausbildung absolviert hat, der religiös ist und Beziehungen zur al-Qaida hat. Tatsächlich war er zu Beginn der 1990er-Jahre Mitglied der al-Qaida und beteiligte sich an ihrem Kampf gegen die Russen in Afghanistan. Slahi beteuerte in den Verhören, dass er 1992 Afghanistan verlassen und seine Beziehungen zur al-Qaida abgebrochen habe.
Odyssee nach Guantánamo
Den Verdacht, dass Slahi in Los Angeles ein Attentat geplant habe, konnten die US-Geheimdienste nicht belegen. Dennoch liessen sie ihn erstmals 2000 in Mauretanien verhaften. Da war der damals 30-jährige Elektroingenieur aus Duisburg gerade in seine Heimat zurückgekehrt. FBI-Agenten vernahmen ihn, liessen ihn aber wieder frei.
Wenige Wochen nach dem Anschlag von 9/11 wurde Slahi erneut verhaftet. Er gehöre zu den Drahtziehern des Attentats, hiess es. Die CIA verschleppte ihn nach Jordanien. Dort wurde er monatelang vom Geheimdienst verhört, bis er auf die US-Luftwaffenbasis Bagram in Afghanistan transportiert wurde. Schliesslich brachte ihn die CIA mit 34 anderen Häftlingen nach Guantánamo.
Folter ohne Spuren
Im August 2002 traf Slahi auf der kubanischen Insel ein. In den folgenden zwei Jahren wurde er von Beamten des US-Militärs verhört und gefoltert, bis er 2005 mit Hilfe seines Bruders, der in Deutschland lebt, den Antrag stellen konnte, seine Inhaftierung zu prüfen. Drei Jahre später entschied das Oberste Bundesgericht, dass Guantánamo-Häftlinge eine solche Prüfung verlangen können. Slahis Gesuch wurde genehmigt, seine Freilassung 2010 angeordnet. Doch die Obama-Regierung legte Berufung ein – seither ist der Fall anhängig. Und seither sitzt Slahi in Guantánamo fest.
Sein Tagebuch dürfte eine breite internationale Öffentlichkeit erreichen. Er beschreibt in schnörkelloser Sprache, was Häftlinge, die unter Terrorverdacht stehen, an Torturen hinzunehmen haben. «Man braucht dich nur anzusehen in deinem orangeroten Sträflingsanzug und den Ketten; ausserdem bist du ein Muslim und Araber, allein das reicht aus, um dich für schuldig zu befinden», zitiert Slahi einen Wärter. Und hakt nach: «Was habe ich getan?» Die Antwort: «Sag du es mir, dann reduzieren wir deine Haftstrafe auf dreissig Jahre, und danach darfst du dann weiterleben. Andernfalls wirst du das Tageslicht nie wiedersehen. Wenn du nicht kooperierst, stecken wir dich in ein Loch und löschen deinen Namen aus der Häftlings-Datenbank.»
Auch den Gefängnisalltag hält Slahi handschriftlich fest. Er rapportiert die offene Brutalität, die ihm ins Gesicht schlägt, ebenso wie jene Foltermethoden, die keine sichtbaren Spuren hinterlassen: Häftlinge werden in nassen Kleidern in Kühlräume gesperrt, mit gleissendem Licht bestrahlt und mit Heavy Metal beschallt.
Arzt mit Halloween-Fratze
In den Aufzeichnungen bemüht er sich um Aufrichtigkeit. So beschreibt Slahi die Menschen, die ihm im Gefängnis begegnen, differenziert. Er äussert sich positiv über Wärter, die sich in ein Gespräch verwickeln lassen. Zugleich schildert er einen Arzt, der ihn für die nächste Folterrunde aufpäppelt und sich dabei hinter einer Halloween-Maske versteckt, um anonym zu bleiben.
Slahi bleibt bei seinen Schilderungen sachlich, versucht seinen Aussagen hin und wieder selbst die Schärfe zu nehmen, indem er Ironie einfliessen lässt. Er lässt nichts aus – auch nicht das, was ihm in den Augen der Leser schaden könnte. Etwa, dass er unter der Folter schliesslich auch gesteht, ein Attentäter zu sein.
Beiträge zum Thema
Das Tagebuch gaben die US-Behörden nur zensuriert frei: Der Text ist mit vielen schwarzen Balken durchsetzt. Larry Siems vom PEN America Center hat diese Stellen aber mit Anmerkungen versehen und lässt hier Informationen aus den verfügbaren Akten einfliessen. Dies gibt dem Dokument ein zusätzliches politisches Gewicht. So zitiert Siems den Anwalt Stuart Couch, der Slahis Beteiligung am Terroranschlag hätte belegen sollen, der aber zum Schluss kam, dass sich keine Verbindung zu 9/11 nachweisen liesse.