«No, no, not in Islam!» Hülya Aslan hebt abwehrend die Hände – und fordert das langbeinige ukrainische Model vor sich auf, den kurzen Rock schnell wieder auszuziehen. «Das ist nun wirklich zu viel des Guten», erklärt sie und hält dem Model stattdessen ein knöchellanges Seidenkleid hin.
Hülya Aslan ist Chefredakteurin des 2011 in Istanbul gegründeten Magazins «Âlâ», dem ersten islamischen Mode- und Lifestylemagazin der Türkei. Und bei dessen Fotoshootings gelten gewisse Regeln. Die 28-Jährige erklärt: «Wichtig ist, dass alle Modells auf den Bildern gut verhüllt sind. Die Kleider dürfen also nicht zu kurz und die Hosen nicht zu eng sein. Röcke müssen immer bis über die Knöchel reichen, und Kopftücher sind selbstverständlich Standard.»
Es darf auch mal grell sein – aber nicht oben ohne
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Also nur fromm und bieder? Eben nicht! Hülya Aslan und ihre Kolleginnen verkörpern ihre Leserschaft selbst am besten: rechts die Zigarette, links das iPhone – und unter den seidig glänzenden Edel-Kopftüchern kräftig nachgezogene Augenbrauen und grell geschminkte Lippen.
Auch gegen Pfennigabsätze stehe im Koran schliesslich nichts geschrieben, lacht Hülya Aslan verschmitzt. Mit dem Finger fährt sie über das Inhaltsverzeichnis einer «Âlâ»-Ausgabe. 300 Seiten Mode und Lifestyle, Shopping-Tipps und Diätrezepte für die moderne muslimische Frau: Welche Tipps gab der Prophet Mohammed für eine glückliche Ehe? Wie sieht ein islamkonformes Hochzeitsfest aus? In welchen Lebensmitteln verstecken sich Spuren von Alkohol? Statt Flirttips und Anmachsprüchen gibt es bei «Âlâ» religiöse Liebesgedichte. Statt oben ohne liegen die Models in muslimischen Ganzkörperbadeanzügen am Strand.
Ein Bestseller ohne viel Nacktheit
Es ist der feine Unterschied zwischen aufreizen und zurechtmachen, den das Team von «Âlâ» seit der ersten Ausgabe im Juni 2011 auszuloten versucht. «Wir haben eine Marktlücke gefüllt», erklärt «Âlâ»-Gründer Burak Birer – gläubiger Moslem und Werbemacher in Jeans und Poloshirt – nicht ohne Stolz. «Wenn ich bei Freunden eingeladen war, dann räumten die Frauen häufig mit rotem Kopf ihre Modemagazine weg, weil da so viel Nacktheit drinnen steckte. Dieses Problem haben sie bei «Âlâ» nicht.»
Der erotische Touch der Modeindustrie, so Birer, störte längst nicht nur ihn. Der Erfolg seiner Zeitschrift gibt ihm Recht: 30'000 Türkinnen zahlen jeden Monat den stolzen Preis von neun Lira – gut drei Schweizer Franken – pro Heft. Hunderttausende sind ausserdem Fan der «Âlâ»-Facebook-Seite.
Fromm und schick
Das Modemagazin steht für einen Boom am Bosporus: Fast 40 Milliarden Dollar geben die Türken jedes Jahr für islamische Mode aus. In den kommenden drei Jahren soll sich der Markt laut Branchenerwartungen noch einmal fast verdoppeln. Kein Wunder in einem Land, in dem gut zwei Drittel der Frauen ein Kopftuch tragen und in dem mit dem Wirtschaftsboom der letzten Jahre eine Art muslimische Bourgeoisie herangewachsen ist. Fromm und schick gehen eben sehr wohl zusammen, findet nicht nur «Âlâ»-Chefredakteurin Hülya Aslan.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 29.01.2016, 16:45 Uhr.