Manchmal werde es ihr zu eng, sagt Yang Yunhua. Die 56-Jährige lebt in einem Vorort der taiwanischen Hauptstadt Taipeh. «Viele Strassen und Gehsteige sind sehr schmal», klagt sie. Menschen, Motorräder und Autos müssten sich aneinander vorbeidrängen.
Yang Yunhua wohnt in Yonghe, dem am dichtesten besiedelten Ort in ganz Taiwan. Über 40 000 Menschen leben hier pro Quadratkilometer – eine Dichte fast zehn Mal so hoch wie in der Stadt Zürich.
Leere Strassen wären langweilig
Nein, weg wolle sie trotz der Enge nicht, sagt die Hausfrau und Mutter. «Ich habe gehört, dass in Europa die Läden am Abend dichtmachen und die Strassen menschenleer sind, stimmt das?», fragt Yang Yunhua. Das stelle sie sich schrecklich langweilig vor.
«Wenn ich nachts nicht schlafen kann, gehe ich auf den Nachtmarkt nebenan und kaufe mir etwas zu essen.» Da auch abends noch viele Menschen unterwegs seien, brauche sie keine Angst zu haben.
Immer grössere Wohnungen
Auf rund 36'000 Quadratkilometern Fläche leben in Taiwan über 23 Millionen Menschen. Das Gebirge, das sich mitten durch die Insel zieht, und die felsige Ostküste sind nur spärlich besiedelt. Die meisten Bewohner leben in den Städten und deren Einzugsgebieten im Norden sowie entlang der Westküste der Insel.
Im Durchschnitt hat jeder Taiwanese 33 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung – ein Viertel mehr als noch vor 20 Jahren. Die Menschen hätten immer höhere Ansprüche an ihre Wohnungen, sagt Chien-Wen Peng, Professor für Immobilien und bebaute Umwelt der National Taipei University. «Neue Wohnungen haben jetzt meistens zwei Badezimmer», so Chien-Wen Peng. Auch bräuchten die Taiwanesen heute mehr Privatsphäre: Inzwischen wolle jeder sein eigenes Zimmer haben.
Lebensstil nicht nachhaltig
«Vor noch 400 Jahren waren Taiwans Tiefebenen dicht bewaldet», sagt Ray Peng, der Taiwan Environmental Info Association. Erst wurden die Wälder für die Landwirtschaft gerodet, später wiederum musste immer mehr Agrarfläche den Industrie- und Wohngebieten Platz machen.
Die Anzahl der Einwohner sei jedoch nur ein Faktor, der die Umwelt beeinflusse, sagt Ray Peng. Galt Taiwan vor wenigen Jahrzehnten noch als Entwicklungsland, ist die kleine Insel inzwischen ein moderner Industriestaat. Damit hat sich auch der Lebensstil der Menschen grundsätzlich verändert.
«Die Klimaanlagen in den 24-Stunden-Geschäften laufen ununterbrochen», klagt Ray Peng, «wir wollen überall und zu jeder Zeit einkaufen». Wenn jeder Mensch auf der Erde so leben würde wie die Taiwanesen, bräuchte man mindestens vier Erden.
Von 3 auf 23 Millionen
Vor gut 100 Jahren lebten in Taiwan etwas mehr als drei Millionen Menschen. Diese Zahl nahm bis Mitte des 20. Jahrhunderts stetig zu. Die Flüchtlinge, die nach dem chinesischen Bürgerkrieg nach Taiwan kamen, eine gestiegene Lebenserwartung und das Wirtschaftswunder sorgten dafür, dass die Bevölkerung schnell anwuchs.
Doch inzwischen verlangsamt sich das Wachstum. Taiwans Problem sei nicht, dass zu viele Menschen hier wohnten, sagt Populationsexperte Cherng-Tay Hsueh. Im Gegenteil: Es gebe zu wenig Nachwuchs.
Bevölkerungsdichte wird sich von alleine verringern
Mit rund einem Kind pro Frau hat Taiwan weltweit eine der tiefsten Geburtenraten und sieht sich mit einer zunehmenden Alterung der Bevölkerung konfrontiert. Mit gestiegenem Wohlstand und höherem Bildungsgrad heiraten die Taiwanesen später, kriegen – wenn überhaupt – später und vor allem weniger Kinder.
Die ideale Einwohnerzahl für Taiwan sieht Cherng-Tay Hsueh bei zwischen 15 und 18 Millionen. Mit der derzeitigen Geburtenrate werde Taiwan diese Zahl in fünf bis sechs Jahrzehnten aber auch ohne eingreifende Massnahmen erreichen.