«Was Bibliotheken können, kann das Internet besser», behauptete die Autorin Kathrin Passig jüngst in der «Zeit». Damit provozierte sie eine Flut an Kommentaren. Das Thema bewegt. Obwohl die Mehrheit der Kommentare dem Artikel widerspricht, gibt es Leute, die mit Kathrin Passig einig gehen. User Tim Leuther zum Beispiel. «Bücher sind heute Dekoration, bestenfalls Schallfänger. Aber Büchereien werden nicht unwichtiger. Nur die Regale müssen raus, um Platz zu machen für Tische», kommentierte er. Und beschreibt damit eine Entwicklung, die bereits in Bibliotheken sichtbar ist.
Bibliotheken sind keine «Ausleihestationen»
Zum Beispiel in der modernen Kantonsbibliothek in Liestal. Hier wird nicht nur gelesen, sondern auch diskutiert, Kaffee getrunken, sogar zu Mittag gegessen. Einige blättern in Magazinen. Andere lernen, surfen im Internet, plaudern. Die Kantonsbibliothek ist ein sozialer Ort, an dem man gerne verweilt. Hier scheinen Bücher nicht mehr die Hauptsache zu sein. Das ist auch dem Leiter der Kantonsbibliothek, Gerhard Matter, bewusst. Für ihn sind Bibliotheken längst keine «Ausleihestationen» mehr, sondern Orte des Austauschs und der Anregung.
In der Kantonsbibliothek Baselland gibt es Arbeitsplätze für Einzelpersonen und Arbeitsplätze für Gruppen. In der Regel sind die Einzelarbeitsplätze nicht belegt, die für Gruppen immer. Ein Indiz für Gerhard Matter, dass die Bibliothek ein sozialer Ort ist. «Wenn ich alleine arbeiten will, kann ich zu Hause bleiben», hat ihm kürzlich ein Schüler gesagt. «Die Leute kommen her, um mit Menschen zusammen zu sein und sich auszutauschen – auch wenn man nur einen Kaffee trinkt», erklärt Matter weiter.
Die Bibliothek als neues Dorfzentrum
Auch Herbert Staub, Präsident des nationalen Verband der Bibliotheken (BIS) sieht die Bibliothek immer mehr als Zentrum: «Ein Beispiel ist die Bibliothek von Landquart. Sie ist zentral gelegen in einem wunderschönen Bau und bietet nicht nur Medien an, sondern auch ein Café und Versammlungsräume. Damit erhält sie die Funktion eines Dorfzentrums – früher gab es Geschäfte, Post, Bank. Das verschwindet immer mehr. So wird die Bibliothek langsam zum Ersatz des Treffpunkts.»
Die Bibliothek als Medien-Café ohne Konsumzwang. Ist das der Sinn einer Bibliothek? Was sie machen soll, ist inhaltlich nicht genau festgelegt. So tragen Bibliotheken etwa «zur Bildung und zur vernünftigen Freizeitgestaltung bei», sind Kulturvermittler oder «fördern die Lesefähigkeit» – die Beschreibungen auf den jeweiligen Websites bleiben pauschal und lassen viel Spielraum für Interpretation.
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Wieso schafft man Schulhäuser nicht ab?
Fest steht nur: Sie müssen einen gesellschaftlichen Nutzen erbringen – schliesslich werden sie in der Regel mit öffentlichen Mitteln betrieben. «Zu überlegen, welchen Beitrag sie leisten können, ist deshalb Verpflichtung der Bibliotheken», meint Gerhard Matter. Und diesen Beitrag sieht der Bibliotheksleiter vor allem im Bereich der Informations- und Medienkompetenz und bei der Integration. «Die Bibliothek soll ein ideologiefreier, konsumationsfreier Ort sein, wo jeder hingehen und sich mit Leuten treffen und sich anregen lassen kann».
Nicht nur Bibliotheken stehen in Konkurrenz zum Informationsangebot des Internets. Auch viele andere Institutionen könnte man so in Frage stellen – nur tut dies niemand. «Dann kann man auch fragen: Braucht es die Schulen noch? Weshalb Schulhäuser? Auch Universitäten bieten längst Online-Kurse an. Viele Museen haben ihre Objekte im Web – meist sogar besser ausgeleuchtet und detaillierter. Wieso schafft man diese Gebäude nicht ab?»
Es sind zentrale Fragen, die Gerhard Matter stellt. Und gleich selbst beantwortet: «Menschen funktionieren nicht als Empfänger von Informationen. Menschen brauchen Anregungen. Wollen sich austauschen. Sind soziale Wesen. Lernen ist immer auch eine soziale Interaktion. Offensichtlich ist es leichter, sich vorzustellen, dass man Bücher ohne weiteres im Internet alleine lesen kann. Aber woher hat er die Anregung, mit wem spricht er darüber? Wie setzt er sein erworbenes Wissen ein? Hier werden Orte wichtig.»
Wie die Schule. Und eben: Wie die Bibliothek. Und auch wenn dieser wachsende soziale oder pädagogische Faktor der Bibliotheken immer wieder betont wird: Zu einem bücherlosen Raum wird die Kantonsbibliothek in Liestal in naher Zukunft nicht werden. «Die Bücher werden nicht verschwinden, aber die Bedeutung wird geringer. Aber was die Leute abends lesen – Sachbücher, Belletristik – das wird noch lange in den Bibliotheken stehen. Ebenso Kinderbücher», vermutet Matter.