Politiker und Medienleute betonen immer wieder, wie «unsäglich» und «unbeschreiblich» das Leid von Kriegsopfern sei. Es «fehlen uns die Worte», kommentieren sie ihren Besuch in Krisengebieten; die Situation mache sie «sprachlos».
Erster Einsatz im Kosovo
Längst haben wir uns an diesen Jargon gewöhnt, er vermag uns kaum mehr zu schockieren. Gerade deshalb wehrt sich Carolin Emcke gegen solche vagen Floskeln: «Dieses Ungenaue, Unpräzise schützt vor allem diejenigen, die sich das Schreckliche nicht vorstellen wollen.» Und sie weiss aus eigener Erfahrung: «Jede Brutalität ist beschreibbar. Man muss sich nur anstrengen; und es tut weh dabei.»
An ihre Feuertaufe als Kriegsreporterin kann sich Carolin Emcke noch heute genau erinnern: 1999 suchte «Der Spiegel» auf der Redaktion nach Leuten, die sich freiwillig für eine Reportage-Reise in den Kosovo zur Verfügung stellten. Emcke – damals noch Redaktorin im Inland-Ressort – meldete sich und flog mit zwei Kollegen ins Krisengebiet. Sie habe damals keine Ahnung gehabt, auf was sie sich einlassen würde, «aber vielleicht ist eine solche Situation auch gar nicht vorstellbar».
Das verlorene Weltvertrauen
Sie habe zweierlei angetroffen: einerseits eine unglaubliche Gastfreundschaft unter der Zivilbevölkerung: «Eine Familie, die eh schon kaum Raum hatte, stellte uns ihr Schlafzimmer zur Verfügung». Andererseits ein Chaos, das mit nichts zu vergleichen sei: «Es gab nicht einmal Zelte, in denen die Tausenden von Flüchtlingen untergebracht werden konnten.»
Damals habe sie mit vielen Vertriebenen und Opfern von Gewalt gesprochen. Sie habe realisiert, wie gross das Bedürfnis der Menschen war, sich ihren Kummer von der Seele zu reden.
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Und auch später, als sie in anderen Kriegsgebieten unterwegs war, sei sie nie um Nahrung oder Kleidung gebeten worden. «Der einzige Wunsch war stets, dass ich ihnen zuhörte und versprach, ihre Berichte aufzuschreiben und weiterzugeben.» Sie kann dieses Anliegen verstehen: «Diese Leute haben etwas verloren, was Jean Améry einmal ‹das Weltvertrauen› nannte. Sie wurden zum Objekt degradiert, als Menschen ohne Namen, Rechte und Würde».
Gegen «die Unschuld des Nichtwissens»
Erst ein geduldiges Gegenüber, das diese Traumatisierten ernst nehme und ihnen bestätige, dass sie ungerecht behandelt worden sind, könne dieses verlorene Weltvertrauen langsam wieder aufbauen helfen. Zur Heilung gehöre auch die Gewissheit, dass die Schuldigen entlarvt werden: «Wenn zur Erfahrung von Folter und Gewalt auch noch eine Stille hinzukommt, dann gehen die Täter immer noch als Sieger vom Feld», betont Carolin Emcke. «Und ich finde, das Dokumentieren und Weitergeben dieser Gräuel ist das Mindeste, was wir diesen Menschen schuldig sind.»
Deshalb erachtet Carolin Emcke dieses Bezeugen mittlerweile als ihre ethische und moralische Aufgabe als Kriegsberichterstatterin. Oft sei sie dabei an eigene Grenzen gestossen. Wieviel einfacher wäre es gewesen, einfach «vom unsäglichen Leid» zu schreiben und zu betonen, dass einen diese Situation «sprachlos» zurücklasse.
Aber sie will sich nicht schonen, – und ihre Leserinnen und Leser auch nicht: «Es darf keine Unschuld des Nicht-Wissens geben. Gerade auch wir, die Verschonten, müssen diese Ungerechtigkeiten zur Kenntnis nehmen und uns damit belasten.» Und so sucht Carolin Emcke immer wieder, auch unter Schmerzen, nach genauen Worten, «weil es sagbar ist.»