Sie schrieben nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten auf Twitter, Trump wolle nun der Präsident aller Amerikaner sein. Es sei aber noch nicht klar, ob dieser wisse, wer alles dazugehöre. Sie unterstellen ihm eine gewisse Ahnungslosigkeit. Oder nicht?
Carolin Emcke: Ich unterstelle ihm bloss seine eigenen Worte. Er hat einen Wahlkampf gemacht, in dem er sehr explizit viele Amerikaner ausgegrenzt und diskriminiert hat. Er hat sich wiederholt sexistisch und islamfeindlich geäussert. Es ist also nicht meine Zuschreibung. Nachdem, was er im Wahlkampf gesagt hat, muss man sich Sorgen Machen, ob er tatsächlich weiss, wen er jetzt alles repräsentieren muss.
Scheinbar ist gerade dieses Verhalten zurzeit en vogue. Erleben wir eine neue Qualität von Populismus?
Populismus ist immer schon die Achillesferse der Demokratie gewesen. In dieser besteht stets ein Risiko für Populismus, wie auch in den Massenmedien. Denn auch sie sind anfällig für einfache Slogans und Hetze.
Es ist also kein neues Phänomen. Aber vielleicht haben wir geglaubt, wir hätten diese Phase überwunden und dass Menschenrechte und rechtstaatliche Normen, die alle Menschen anerkennen, stabiler seien.
Trump ist zurzeit nicht der einzige, der so agiert. Ist das Zeitalter der Fakten vorbei?
Ich bin vorsichtig mit diesen historischen Urteilen, die einen selbst entmündigen, weil sie so pessimistisch sind, dass sie einem jede Handlungsmöglichkeit und Hoffnung rauben.
Medien können sich keine Vorwürfe machen, aber sie müssen sich fragen, wo die Willensbildung der Trump-Wähler stattgefunden hat. Und zwar ohne sie.
Wir haben es mit einem Strukturwandel der Öffentlichkeit zu tun, in dem klassische Printmedien nicht mehr die Bedeutung haben, die sie früher hatten und der Einfluss von Social Media enorm zugenommen hat. Dadurch kommuniziert eine fragmentiertere Öffentlichkeit, die sich in und über diese Medien permanent selbst bestätigt und nicht mehr die eigenen Thesen an der Wirklichkeit abgleicht. Das ist eine grosse Herausforderung. Ich glaube, dass wir alle im Moment nicht genau wissen, wo die demokratische Willensbildung stattfindet.
Das Interessante an der Trump-Wahl jedoch ist, dass die grossen Medienhäuser und Verlage sich nicht nur alle in der Prognose der Wahl geirrt haben, sondern auch explizit gegen Trump geschrieben haben. Sie können sich zwar keine Vorwürfe machen, aber sie müssen sich fragen, wo diese Willensbildung stattgefunden hat. Und zwar ohne sie.
Beiträge zum Thema
In Ihrer Kolumne «Torheit» in der Süddeutschen Zeitung stellten Sie die Überlegung an, ob das Leugnen von Tatsachen und das Vereinfachen der Welt die neue Volksnähe ist. Ist das nicht eine Beleidigung für unser Volk?
Absolut. Es ist absurd, dass jemand wie Donald Trump – ein Milliardär, der sich noch nie um Arbeiterrechte geschert hat in seinen verschiedenen Unternehmungen – sich als «Anti-Establishment» suggerieren konnte. Als jemand, der für die kleinen Leute sprechen könnte. Das ist eine unglaubliche Heuchelei.
Diese Sorte von simulierter Volksnähe, die hat es nun in verschiedenen Wahlkämpfen gegeben, nicht nur in den USA. Es muss da deutlich aufgezeigt werden, dass sie die Sehnsüchte, Nöte und Sorgen von in prekären Verhältnissen lebenden Menschenganz bestimmt nicht beantworten werden.
Die Schlichtheit der Argumente von völkischen Nationalisten lassen sich nicht dadurch bekämpfen, dass man sich intellektuell selbst verstümmelt.
Trump steht für ein Phänomen: Das Wiedererwachen des aggressiven Populismus. Sehen Sie derzeit eine Chance für rationale Politik?
Selbstverständlich. Wir können uns jetzt nicht hinsetzen, jammern und sagen, es gewinnen die Demagogen und Populisten. Man muss schon sehr genau unterscheiden zwischen der Situation in Russland oder der in der Türkei, in Ungarn oder der USA. Es sind unterschiedliche Wählergruppierungen, die sich hinter den jeweiligen Personen vereinigen. Und es sind unterschiedliche rechtliche Institutionen, die jeweils bedroht oder angegriffen werden.
Wir können Populismus nicht dadurch besiegen, das wir selber populistisch werden. Die Schlichtheit der Argumente von völkischen Nationalisten oder Fanatikern lassen sich nicht dadurch bekämpfen, dass man sich intellektuell selbst verstümmelt.
Man kann nur mit dem Appell an Vernunft, an Aufklärung, an Fakten versuchen, dem entgegenzutreten. Das muss man offensichtlich offensiver tun. Und auch darüber nachdenken, ob man sich aus dieser Ängstlichkeit und Zögerlichkeit herausbewegen muss. Aber ich glaube nicht, dass man dem Hass durchs Gegenhassen beikommt.
Sendung: 11.11.2016, SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 17:08 Uhr.