Die alten Griechen wählten sich einen «Strategen», der sich oft genug als Tyrann entpuppte. Für diese Funktion erfanden die Römer den Begriff des Diktators, was ja wörtlich nur heisst: «einer, der das Sagen hat». Hitler und Stalin wurden Führer genannt, Kubas Castro gar Máximo Líder, der grösste Führer, Kim Jong Un oberster Führer.
Präsident Erdogan ist für die islamische Zeitung «Milat» bereits ein «Führer der Welt». Putin wiederum war im Wahlkampf ein «starker Führer». Sowohl der starke Mann Russlands und der starke Mann der Türkei kamen in einer Zeit der staatlichen Krise an die Macht.
Das gebrochene Selbstbewusstsein des Volkes hilft
Putin wurde acht Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ministerpräsident. Das Selbstbewusstsein des Volkes war gebrochen, die Herrschaft Moskaus schwächer denn je.
Erdogan errang seinen ersten Wahlsieg 2002, als die Türkei am Rande des Ruins taumelte und aussenpolitisch kaum eine Rolle spielte. Seither sind Putin und Erdogan unbestritten die starken Männer ihrer Länder. Ihre Popularität beruht darauf, dass sie dem Volk wieder Selbstbewusstsein und Stolz gaben.
Konzentration auf Militär, Wirtschaft und Religion
Beiträge zum Thema
Putins militärische Kraftmeierei gegenüber Tschetschenien, Georgien und der Ukraine und zuletzt die Einvernahme der Krim vermitteln den Russen das Gefühl, wieder eine Rolle auf der Weltbühne zu spielen. Erdogan führte sein Land innerhalb eines Jahrzehnts vom ökonomischen Kollaps zu einem kleinen Wirtschaftswunder. Die Nation hat Jahre der Veränderung hinter sich, die für viele Familien den sozialen Aufstieg brachte. Zudem hat der fromme Präsident demonstriert, dass der Islam nicht nur Rückschritt bedeuten muss, sondern mit ökonomischem Fortschritt und sozialer Entwicklung einhergehen kann.
Beide übrigens pfeifen auf Trennung zwischen Staat und Kirche. Sie knüpfen an alte Traditionen an: an die Herrschaft des Zaren über die russisch-orthodoxe Kirche und an den osmanischen Sultan, der zugleich Kalif und als solcher Führer der sunnitischen Muslime war. Beide wollen also ganz bewusst gar nicht westlich-aufgeklärt sein, beide bleiben gleichwohl die Chefs der wichtigsten Nachbarländer der Europäischen Union.
Bombastische Bauten und internationale Aufmerksamkeit
«Zar Putin» und «Sultan Erdogan» haben Autorität, ein gewisses Charisma und vermitteln ihren Anhängern den Eindruck, alles im Griff zu haben. Längst arbeiten sie an ihrer Unsterblichkeit: Sie setzen sich Denkmäler.
Erdogan plant in Istanbul eine Moschee mit den höchsten Minaretten der Welt. Er hat sich einen Präsidenten-Palast mit 1000 Zimmern erstellen lassen, der den Buckingham-Palace in den Schatten stellt, und will für gigantische Investitionskosten einen Kanal parallel zum Bosporus bauen lassen.
Putin glänzt mit Olympia und Fussballweltmeisterschaft, mit neu erworbener Dominanz in Tschetschenien, Abchasien und der Krim und mit einem neuen militärischen Selbstbewusstsein, das ihn in der Weltpolitik – Beispiel Syrien – mitspielen lässt.
Was bringt die Zukunft?
Zwei talentierte Autokraten haben zuhause eine Medienwüste angerichtet. Zwei Machtmenschen haben alle Kontrollmechanismen für ihr Herrschaftssystem neutralisiert und sorgen für eine orthodoxe Renaissance und einen schleichenden Islamismus.
Beide haben, wenn es nach ihren Anhängern geht, noch eine grosse Zukunft vor sich. Putin wird in Russland gerne der «Gottgesandte» genannt und Erdogan wird in seiner Partei aufgefordert: «Weiche nicht vom Weg ab, den Allah Dir aufgetragen hat.» Auf beide – Putin und Erdogan – blickt der Westen mit Sorge.