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Gesellschaft & Religion Es ist Zeit, die Kirche einem Realitätscheck zu unterziehen

Cornelia Camichel Bromeis wird die erste Dekanin in Graubünden. Und das, obwohl die reformierte Bündner Landeskirche Frauen erst seit 50 Jahren als vollwertige Pfarrerinnen akzeptiert. Sie will nicht alles auf den Kopf stellen, aber drängende Antworten auf die Fragen unserer Zeit finden.

Sie hat sich schon oft gegen Widerstand durchgesetzt: «Als ich meine erste Pfarrstelle in Chur übernahm, wollte ich nicht Vollzeit arbeiten», erzählt die evangelisch-reformierte Pfarrerin. Denn: Cornelia Camichel Bromeis ist nicht nur Pfarrerin, sondern auch dreifache Mutter. So manchem Kirchgänger gehe das nicht in den Kopf, die Vorstellung der berufstätigen Mutter. Wenn sie sich die Stelle mit einem Mann teile, würden viele denken, der Mann sei der richtige Pfarrer.

Nichtsdestotrotz wird die 43-Jährige ab Januar 2015 der Bündner Pfarrsynode als Dekanin vorstehen. Sie wird neue Pfarrerinnen und Pfarrer einstellen und sich um Konflikte in der Pfarrschaft kümmern. «Man wird bestimmt merken, dass nun eine Frau am Ruder ist. Meine Perspektive auf das Leben, meine Erfahrungen als berufstätige Mutter werden auch in das Amt einfliessen.» So werde sie sich dafür stark machen, dass Beruf und Familie bei der Arbeitgeberin Kirche gut vereinbar sind.

«Ich wollte immer beides: Kinder und Karriere»

Sie selber könne Familie und Karriere gleichzeitig meistern, weil ihr Mann mit ihr am gleichen Strick ziehe: «Wir teilen uns Kinderbetreuung und Broterwerb zu gleichen Teilen. Wenn er nicht bereit gewesen wäre zu reduzieren – ich glaube nicht, dass dann all das möglich wäre.» Nach dem Theologiestudium an der Universität Basel sei sie nicht bereit gewesen, zu wählen zwischen Beruf oder Familie. «Ich wollte immer beides. Denn bei den Kindern kann ich mich vom Arbeiten, beim Arbeiten von den Kindern erholen», lacht die Davoser Pfarrerin.

Anders als vor 14 Jahren, als Cornelia Camichel Bromeis ins Pfarramt einstieg, sind Teilzeitstellen im Kanton Graubünden inzwischen an der Tagesordnung. «Die kleinen Gemeinden haben nicht mehr genügend Mitglieder, um eine Pfarrerin, einen Pfarrer zu hundert Prozent zu beschäftigen.»

Schrumpfen der Gemeinde als Chance

Doch sie will nicht in den Jammerchor einstimmen, der die schrumpfenden Kirchgemeinden betrauert: «Das bringt uns auch nicht weiter. Und sowieso: Wer sagt, dass das nur schlecht sein muss? Vielleicht hilft uns das Kleinerwerden auch dabei, uns wieder mehr auf unsere Inhalte zu konzentrieren. Denn die Pfarrerin ist überzeugt: Die reformierte Kirche hat auch heute noch Antworten auf die Fragen der Menschen. «Die Antworten sind keine pfannenfertigen Lösungen, sondern die Einsicht, dass es nicht eine richtige Ansicht, eine einzige Antwort für jeden Einzelnen gibt.»

Es gehe darum, miteinander und im Dialog eine Antwort auf die drängenden Fragen in der Gesellschaft zu finden. Und diese Antwort, oder diese Meinung könne heute so sein, und morgen anders. Denn, und das ist ihr ganz wichtig: «Wir sollten die Grösse und Stärke haben, stets dazuzulernen und unsere Ansichten immer wieder einem Realitätscheck zu unterziehen – und sie je nachdem zu überarbeiten.»

Dazulernen und überarbeiten

Eine Haltung, die die Pfarrerin auch in ihrem Amt als Dekanin fördern will. Und so geht Cornelia Camichel Bromeis voller Gottvertrauen auf ihre neue Aufgabe zu. «Natürlich werde ich nicht gleich am ersten Tag alles auf den Kopf stellen, sondern mir zunächst einmal anhören, welche Anliegen auf Seiten der Pfarrerinnen und Pfarrer überhaupt da sind.» Nach dieser «Bestandsaufnahme» könne man dann überlegen, wo Veränderungen nötig seien. Angst vor Veränderungen, die hat Cornelia Camichel Bromeis nicht.

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