Das Wichtigste in Kürze
- In Deutschland ist Wohnraum knapp , obwohl Millionen von Wohnungen und Büros leer stehen.
- Es ist sinnvoller, Wohnraum zu sanieren als Wohnungen neu zu bauen
- Flüchtlinge werden in Deutschland falsch verteilt in Städte mit angespanntem Wohnungsmarkt
- Es sollte Anreize geben, in schrumpfende Region zu ziehen , wo viel Wohnraum leer steht.
Millionen leerer Wohnungen und Büros
Was tun, wenn Wohnungen knapp sind, wenn um jede freie Wohnung gekämpft wird? Wohnbaustrategien sind die bekannten und beliebten Rezepte. Genau diese Rezepte hinterfragt der Architektur-Experte und Buchautor Daniel Fuhrhop.
Es macht ihn stutzig, dass seit dem Zweiten Weltkrieg viel gebaut wurde und man trotzdem immer wieder den Eindruck hat, dass zu wenig Wohnraum vorhanden sei. Woran das liegt?
Der Deutsche (aber auch der Schweizer) braucht mehr Wohnfläche. Gleichzeitig zeigen Studien, dass in Deutschland über 1,5 Millionen Wohnungen und acht Millionen Quadratmeter Bürofläche leer stehen.
Geld heizt die Bauwut an
Aufgrund dieser Widersprüche kam Daniel Fuhrhop zum Schluss, dass sich kein Neubau rechtfertigen liesse, solange es in Deutschland Leerbestand gibt. In seinem saftig geschriebenen Buch «Verbietet das Bauen» zerzaust er die Vorstellung, dass Wohnungsknappheit mit Neubauten zu lösen sei.
Was vergangenes Jahr als Provokation daherkam, meinte der studierte Architekt und Betriebswirtschafter ernst. Denn er ist überzeugt, dass nicht der Bedarf sondern das Geld die Bauwut anheizt.
Ökonomisch und ökologisch dumm
Mit vielen Beispielen legt Fuhrhop dar, dass das Neubauen ökonomisch und ökologisch dumm ist. Anhand eines Altbaus aus den 1950er-Jahren rechnet er minutiös vor, dass ein Ersatzbau teurer ist und das Klima mehr schädigt als die Sanierung.
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Vorausgesetzt, dass wirklich alle Kostenfaktoren, die üblicherweise vergessen werden, miteinberechnet werden: die Kosten des Abreissens, der Entsorgung, der Vernichtung von Grauer Energie und der Herstellung des Baumaterials.
Als Gegenstrategie schlägt Fuhrhop unter anderem vor, dass öffentliche Gelder nur noch in Sanierungsprojekte fliessen dürften und dass der Umzug in kleinere Wohnungen mit Geld und Beratung gefördert werden müsste.
Zusammenrücken und Beschlagnahmung
Wer nun meint, dass der Flüchtlingsstrom, den Deutschland ab Oktober 2015 aufzunehmen hatte, Fuhrhops Buch «Verbietet das Bauen» zu Makulatur gemacht hat, irrt. Bereits ein halbes Jahr später legt der Autor das Folgebuch «Willkommensstadt» vor.
«Wenn wir zusammenrücken und die Reserven unserer Wohnungen nutzen, haben wir mehr als genug Platz für alle», schreibt Fuhrhop. Denn nur dann sei es möglich, die Geflüchteten zum Teil der Gesellschaft werden zu lassen.
Zuteilung festgelegt
Wieder hat Fuhrhop eine ganze Reihe von Beispielen zusammengetragen, um zu verhindern, dass «Hobbyinvestoren» die Gunst der Stunde nutzen, um am falschen Ort unnötige Siedlungen hochzuziehen.
Da ist zum Beispiel die Kritik am sogenannten Königsteiner Schlüssel, der die Zuteilung der Flüchtlinge festlegt. Danach müssen boomende Städte wie Freiburg, Hamburg oder München, wo der Wohnungsmarkt angespannt ist, viele Flüchtlinge aufnehmen.
In schrumpfenden Regionen stehen viele Wohnungen leer. In Mecklenburg-Vorpommern stünden rund 50‘000 Wohnungen leer, in denen mindestens 100‘000 Menschen wohnen könnten, rechnet Fuhrhop vor.
Anti-Werbung für Boomstädte
Zwei Rezepte hat Fuhrhop hier zur Hand: Erstens seien boomende Städte mit Anti-Werbung zu überziehen. Ob eine Stadt oder ein Viertel als cool oder hässlich gelte, sei beeinflussbar, ist Fuhrhop überzeugt.
Zweitens schlägt er vor, schrumpfende Regionen attraktiv zu machen, indem man sie zu Sonderwirtschaftszonen erklärt; und Kreativen Stipendien gewährt, wenn sie in Schrumpfstädte ziehen.
So könnten mit neuen Bewohnern – Künstlern, Kreativen und Flüchtlingen – neue, lebendige Städte entstehen. Der Autor nennt sie Willkommensstädte.
Miteinander statt Nebeneinander
Man kann Daniel Fuhrhop vorwerfen, weltfremd und ideologisch zu sein. Indes lohnt sich die Lektüre seines Buches «Willkommensstadt», weil er die Mechanismen hinter der Bauwut exakt analysiert, die gängigen Forderungen nach immer mehr hinterfragt und letztlich eine Lanze bricht fürs Miteinander statt für Nebeneinander.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 22.11.2016, 9:02 Uhr.