Erst hört man sie. Das Grölen. Der Schlachtruf: «Aussie, Aussie, Aussie – Oi, Oi, Oi!». Dann sieht man sie. Oberkörper nackt, Shorts, Flipflops. Stockbetrunken mit indonesischem Bintang-Bier.
Und natürlich die «Southern Cross»-Tätowierung. Das Sternbild des Südens, wichtiges Element der australischen Flagge, ist zum Symbol des australischen Chauvinismus verkommen, der kulturellen Ignoranz. Diese wird auf der «Hausinsel» der Australier hemmungslos zur Schau gestellt.
Ständige Prügeleien und Knast
Willkommen in Bali. Dort, wo jedes Klischee real wird, das man von australischen Touristen haben mag. Nirgendwo machen Australierinnen und Australier lieber und häufiger Ferien als auf der indonesischen Insel.
Sie ist nicht nur einen Steinwurf vom fünften Kontinent entfernt. Sonnenbaden in Bali ist um einiges billiger als Ferien an australischen Stränden. Bali sei für hunderttausende Australier eine Art «zweite Heimat». Das gab der Chef des statistischen Amtes von Bali gegenüber einer Lokalzeitung zu Protokoll.
Grund für den Bericht war einmal mehr eine Verfehlung eines australischen Touristen. Es vergeht kaum ein Tag auf der Insel, an dem nicht ein Australier im Knast landet – oder im Krankenhaus.
Kein Kontakt zu fremden Kulturen
Für viele «Aussies» ist Bali der einzige Ort, an dem sie je Fuss auf fremden Boden setzen. Nur Fidschi, ebenfalls ein paar Flugstunden entfernt, ist bei australischen Massentouristen ähnlich beliebt.
Australierinnen und Australier aus ländlichen Gebieten reisen selten ins Ausland – falls sie überhaupt reisen. Höchstens ein Trip nach Europa, zwischen Schule und Universität, bringt junge Australier in Kontakt mit fremden Kulturen. Eine Bustour mit Gleichgesinnten gilt als Übergangsritual ins Erwachsensein.
Die meisten «Traveller» landen schliesslich in London. Im ehemaligen Mutterland Grossbritannien gibt es einen wichtigen Vorteil: Man spricht Englisch. Nur wenige Australier lernen in der Schule ernsthaft eine Fremdsprache.
Alles in einem
Diese brauchen sie auch in Bali nicht. Nicht einmal «Saya mau segelas bir» – «ich will ein Bier» – müssen die Feriengäste auf Indonesisch sagen können.
Die Touristenstrände der Insel seien komplett «verwestlicht», sagt Professor Jon Stratton, Soziologe an der australischen Curtin Universität. Diese Verwestlichung lasse Australier vergessen, dass im mehrheitlich hinduistischen Bali andere Gesetze, Traditionen und Regeln gelten.
Viele Australier wollten «nicht dahin gehen, wo es eigenartig und fremd ist», so der Akademiker. «Sie wollen zwar das Exotische, aber auch die Annehmlichkeiten von Zuhause».
Wenn Bali zu Canberra wird
Von dieser Kombination profitiert die lokale Bevölkerung wirtschaftlich. Der Tourismus bringt mit Abstand am meisten Devisen nach Bali. Die Folgen für die Kultur Balis aber sind überall sichtbar.
An jeder zweiten Ecke gibt es eine australische Bierbar; Rugby läuft praktisch auf jedem Fernsehbildschirm. Viele Touristen tragen selbst in der Hauptstrasse nichts als ihre Badehose. Für die religiöse, traditionsbewusste und prüde Bevölkerung Balis ist dieses Verhalten ein unsäglicher Affront.
Landsleute schämen sich fremd
Gäste aus Down Under seien in Bali eindeutig die anstössigsten, hat die Zeitung Jakarta Post geschrieben. Die australische Journalistin Rebecca Boteler lebt selbst auf der Insel. Sie hat mit Abscheu Landsleute beobachtet, die «sich in Nachtclubs prügeln, Drogen nehmen, auf offener Strasse urinieren und sich generell streitlustig benehmen».
Nur an zwei anderen Orten der Welt habe sie Ähnliches erlebt: «In Ibiza, wo sich Briten danebenbenahmen. Und in Mexiko, wo sich Amerikaner nicht von ihrer besten Seite zeigten».