Schon seit dem Beginn der Industrialisierung kämpfen Kirchen für faire Arbeitsbedingungen. Denn im 19. Jahrhundert strömten immer mehr Menschen in die Städte und in die Wirtschaftszentren. In Fabriken arbeiteten sie bis zum Umfallen und wegen der grossen Konkurrenz auch für sehr wenig Lohn. Es gab keinerlei staatliche Regulierungen.
Christliche Einmischung in die Politik
Auf diese sozialen Missstände reagierten auch die Kirchen. Die römisch-katholische Kirche begann, ihre Soziallehre zu entwickeln. So stand in der ersten Sozialenzyklika von 1891: «Dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vorenthalten ist eine Sünde, die zum Himmel schreit.» Oder: «Die Reichen dürfen unter keinen Umständen die Besitzlosen in ihrem Erworbenen schädigen.»
Damit begann die Kirche, auch den Staat in die Pflicht zu nehmen. Das war eine neue Entwicklung. Vorher hatte die katholische Kirche auf «caritas», auf die Nächstenliebe, gesetzt. Sie beschränkte sich also auf Hilfe für die Bedürftigen, es gab nur wenig Einmischung der Kirche in die Politik. Nun aber sollten die Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Katholische Soziallehre noch aktuell?
Bis heute setzt sich die kirchliche Soziallehre für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. Sie verändert sich deswegen immer wieder, weil neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen auftauchen. So sind die hohen Managerlöhne ein ziemlich neues Phänomen. Deswegen gibt es von der römisch-katholischen Kirche noch keine Schrift, die sich mit diesem Problem befasst.
Aktuell ist die römisch-katholische Soziallehre aber trotzdem. Das Sozialinstitut der KAB, der katholischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerbewegung, beschäftigt sich beispielsweise mit aktuellen Fragen der Wirtschaft und Gesellschaft. Es versucht, christliche Antworten zu finden.
Der Mensch im Zentrum
Besonders wichtig sind dabei christliche Werte, sagt Thomas Wallimann-Sasaki, der Leiter des Sozialinstituts. So müsse in der Wirtschaft immer der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht finanzielle Interessen. Zudem sei auch die Solidarität unter den Menschen zentral, und das Gemeinwohl soll nicht aus den Augen verloren werden.
Diese Werte werden nicht nur von Katholiken vertreten. Aber die Orientierung am Menschen sei schon eine religiöse Botschaft, meint die Theologin Marianne Heimbach-Steins. Und diese Botschaft vertrete die christliche Sozialethik auch mit anderen Gruppierungen oder Parteien zusammen.
Wie viel wert ist die Arbeit heute?
Ein Lohn muss zum Leben reichen – aber was heisst das konkret? Wie hoch muss ein Lohn denn sein? Marianne Heimbach-Steins gibt zwei wichtige Vorgaben: Einerseits müsse eine voll arbeitende Person so viel verdienen, dass sie davon leben könne. Andererseits müsse der Lohn auch die geleistete Arbeit abbilden. Aber das ist bei den heutigen Arbeitsprozessen nicht mehr so einfach zu berechnen.
In der Schweiz gibt es zurzeit zwei politische Versuche, die für mehr Lohngerechtigkeit sorgen wollen: Die Mindestlohn- und die 1:12-Initiative. Auf christlicher Seite ist ein gewisses Verständnisse da für die Initianten. Aber es gebe auch Vorbehalte, meint Thomas Wallimann-Sasaki.
Nicht am eigenen Ast sägen
Man könne nicht einfach nur höhere Löhne fordern, so Wallimann-Sasaki. Die Lohnfrage müsse in einem grösseren Kontext betrachtet werden, denn die Unternehmen müssten auch wirtschaftsfähig bleiben. Zu hohe Lohnforderungen könnten unter Umständen zum Bankrott oder zu einem Wegzug ins Ausland führen. Damit würde man an dem Ast sägen, auf dem man (noch) sitze.
Das heisst aber noch lange nicht, dass eine christliche Lohnethik sich auf die Seite der Unternehmer schlägt. Vielmehr soll dafür gesorgt werden, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit gleich langen Spiessen über Löhne verhandeln können. Und im Rahmen dieser Verhandlungen seien eben christliche Werte von grosser Bedeutung, sagt Thomas Wallimann-Sasaki.