Sie haben bereits mit 26 Jahren angefangen, für den «Züritipp» Restaurants zu testen. Wie kam es dazu?
Daniel Böniger: Meine Eltern und Grosseltern führten bereits Restaurantbetriebe. Ich bin sozusagen in der Küche gross geworden. Und dann, während meines Philosophiestudiums, signalisierte ich mein Interesse an der Gastronomie beim «Züritipp» und bekam erste Aufträge.
Fein essen gehen. Ein gutes Glas Wein dazu. Und anschliessend den Senf dazu geben. Klingt für mich, als hätten Sie den Traumjob.
Das könnte man denken, stimmt aber nicht immer. Es kommt schon mal vor, dass man drei schlechte Pizzaläden hintereinander testen muss. Zudem sind Kalorien und Alkohol nicht wirklich gesundheitsfördernd. Darum treibe ich regelmässig Sport – auch damit ich am Abend richtig Hunger habe. Man sollte ein Essen immer mit gesundem Appetit testen. Alles andere wäre unfair gegenüber den Gastgebern.
Seit einigen Jahren erlebt das Kochen und Essen einen regelrechten Boom. Kochshows, Rezeptbücher, Essensratgeber und Feinschmecker-Läden sind omnipräsent. Für manche ist das Essen fast schon eine Religion. Haben Sie eine Erklärung für diesen Hype?
Essen ist ein bisschen wie Mode. Die Trends verändern sich, ohne dass man genau weiss warum. Und wie die Mode ist das Essen identitätsbildend und gegenüber anderen repräsentativ. Wie durch meine Kleider kann ich mich durch mein Essen inszenieren und neu erfinden. Auch spiegelt sich in unseren Essensgewohnheiten der Zeitgeist wider: Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, die Globalisierung, der Wohlstand – und vielleicht auch die Säkularisierung. Denn im Essen suchen viele tatsächlich eine gewisse Orientierung – ähnlich wie in einer Ersatzreligion.
Und wohin geht der Trend? Wie werden wir in Zukunft essen?
Ich befürchte, dass die Variationsbreite schrumpfen wird. Wir werden normierter essen. Einige wenige multinationale Konzerne werden bestimmend sein. Noch stärker als heute. Klar, es wird auch Gegentrends geben. Aber diese werden Nischen bleiben.
Aus welcher Ecke der Welt wird der nächste Trend kommen?
Nach Spanien und Skandinavien rückt zurzeit Südamerika in den Fokus. Dies wird unsere Art zu kochen nicht verändern, aber in der gehobenen Gastronomie werden teilweise wohl neue Zutaten eine Rolle spielen.
Wie erkennt man, ob ein Essen erstklassig ist?
Gutes Essen ist wie eine Offenbarung. Ich muss in dem einzelnen Moment des Genusses ganz aufgehen können. Das kann übrigens auch bei Spaghetti mit Tomatensauce geschehen. Oder bei einem Schluck Wasser an einer Bergquelle, am Ende einer langen Wanderung.
Man sagt: Das Auge isst mit. Stimmt das?
Klar. Aber nur, weil das Auge etwas über die Sorgfalt der Zubereitung verrät. Man sieht einem Gericht an, ob es liebevoll gekocht oder eben nur prahlerisch angerichtet wurde. Das gilt für ein einfaches Risotto ebenso wie für ein komplexes Fünf-Gänge-Menü. Für mich sollte das Optische aber immer eine geschmackliche Funktion haben. Blosse Deko finde ich schrecklich.
Verraten die Geschmacksvorlieben etwas über einen Menschen?
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Geschmack hat viel mit Prägung zu tun: Man mag in der Regel, was Mutti früher gekocht hat. Und vielleicht stimmt es, dass die Genussfähigkeit etwas über einen Menschen verrät. Wer das Essen geniessen kann, der wird wohl auch in anderen Bereichen des Lebens eher sensibel, sinnesfreudig und genussfähig sein. Ein Geniesser eben. Und unter uns gesagt: Menschen, die nicht geniessen können, sind mir irgendwie suspekt.
Kann man das Essen überhaupt noch geniessen, wenn der analysierende Verstand einem dabei immer in den Mund schaut?
Ich selbst kann gut abschalten und zu Hause oder auswärts einfach mal nur geniessen. Aber es stimmt schon: Die Übung macht natürlich auch wählerisch. Die Sinne werden geschulter und der Anspruch steigt.
Werden Sie von Ihren Freunden überhaupt noch zum Essen eingeladen?
(Lacht.) Leider tatsächlich etwas zu selten. Das zwingt mich aber, meine grosse Leidenschaft zu pflegen: das Kochen.