1881 verschleppte ein Seehundjäger in Patagonien eine elfköpfige Gruppe indigener Seenomaden. In Europa übernahm sie der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck und stellte sie als «Die Wilden von den Feuerlandinseln» aus: Vier Männer, vier Frauen und drei Kinder sollten spärlich bekleidet ihr Leben als «Wilde» vorführen.
Hunderttausende strömten in Paris, London, München und anderen Städten zu dieser entwürdigenden «Völkerschau». Nicht selten fand sie in den zoologischen Gärten statt.
Darwins übles Erbe
In Zürich überschlug sich die Presse: «Ihr Gesichtsausdruck – wenn man dieses Wort überhaupt verwenden darf – ist stupide und lässt auf vollkommenen Mangel an Intelligenz schliessen», schrieb ein Journalist.
Nicht die edlen Wilden wollte man zeigen und sehen, sondern die primitiven, der Sprache kaum mächtigen Kannibalen, die man für beinahe tierhaft hielt.
Zu diesem Bild hatte ausgerechnet Charles Darwin massgeblich beigetragen. Als junger Mann hatte er die Kawesqar auf seinen Reisen von weitem beobachtet und sie als näher mit Tieren als mit Menschen verwandt beschrieben.
Auf der Überfahrt verstorben
Als die Kawesqar 1882 in Zürich eintrafen, waren zwei Angehörige des Volkes bereits verstorben. Eine dritte Frau folgte ihnen kurz nach der Ankunft ebenfalls in den Tod.
Kein Grund zur Aufregung – beruhigte die Lokalzeitung «Die Limmat»: «Unser Klima scheint den Feuerländern nicht zu behagen. Bereits ist ein Mitglied der Truppe gestorben. Selbstverständlich finden die Ausstellungen doch statt, da ein solcher Fall keinen Anlass zu besonders grosser Trauer …»
Nur zwei der drei Kinder und zwei junge Erwachsene überlebten das Zürcher Spektakel und wurden schliesslich «zurückgebracht». Über deren späteres Los ist nichts bekannt. Dagegen ist dasjenige der fünf in Zürich Verstorbenen bestens dokumentiert: zu wissenschaftlichen Zwecken wurden die Leichen ausgeweidet und skelettiert, einzelne Organe wurden zudem konserviert.
130 Jahre bis zur Aufarbeitung
2010, rund 130 Jahre nach ihrem Tod, wurden die Toten von Zürich nach Chile restituiert. Erst da haben die heutigen Kawesqar von der grausamen Behandlung ihrer Vorfahren erfahren – und das brachte einiges ins Rollen. Etwa den Besuch einer Delegation in Zürich.
Mitgebracht haben die Kawesqar eine Ausstellung, mit der sie im Völkerkundemuseum Zürich dem Bild der «Wilden» ihre wirkliche, weltweit einzigartige Kultur ehemaliger Jäger und Sammler gegenüberstellen.
Sie suchen Versöhnung
Und sie wollen reden: mit den Besuchenden, den Medien – über damals und heute. Sie kommen nicht als Opfer der einstigen Geschichte und haben keine Forderungen nach Entschädigungen im Gepäck. Vielmehr suchen sie Versöhnung und wollen als moderne indigene Zeitgenossen zur Kenntnis genommen werden.
Das mag harmlos klingen, sollte aber nicht über den politischen Gehalt hinwegtäuschen: Denn in Chile ist immer noch die Verfassung des Diktators Pinochet im Einsatz. In dieser ist für Indigene kein Platz im Land vorgesehen.
Eine neue Verfassung, die das geändert hätte, wurde letzten Herbst abgelehnt. In den aktuellen Diskussionen um eine nächste Revision sind die Indigenen jetzt wieder ausgeschlossen.