Ob Journalisten, die unabhängig berichten wollen, frei arbeiten können oder um ihr Leben fürchten müssen, das hängt direkt vom jeweiligen Mediensystem des Landes ab. Dieses wird unter Umständen von der Religion ebenso bestimmt wie von der Politik.
Zum Beispiel Italien: Die Medienlandschaft unseres südlichen Nachbarlandes unterscheidet sich grundsätzlich und in fast jeder Hinsicht von der schweizerischen. Unabhängige Berichterstattung ist nur schwer möglich. Von allen Seiten wird versucht Einfluss auf Radio, Fernsehen und Presse auszuüben.
So hat Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi nicht nur nach wie vor erheblichen Einfluss auf diverse elektronische Medien, er kontrolliert auch Tageszeitungen. Andere überregionale Blätter gehören branchenfremden Mischkonzernen. Kein Wunder fällt es den Journalisten nicht selten schwer, unabhängig zu berichten. Ausserdem gab es immer eine grosse Nähe der Journalisten zur Politik. Investigativen Journalismus gibt es in Italien fast gar nicht.
In seinem Buch «Lautsprecher und Widersprecher» zeigt Roger Blum anschaulich, welche Kräfte auf das italienische Mediensystem einwirken und erklärt anhand der Geschichte, der Parteienlandschaft und der Wirtschaft, wie es soweit überhaupt kommen konnte.
Eine Art Medienwelt-Atlas
Blum zeichnet insgesamt 23 Länderporträts, und nimmt den Leser mit auf eine Art Reise um die Welt, die an viele exotische Plätze führt – und auch immer wieder klar macht, wie gefährlich der Beruf des unabhängigen Journalisten in vielen Ländern noch immer ist.
Es ist erschreckend zu lesen, in wie vielen Ländern Journalisten bis heute verhaftet, gefoltert oder sogar getötet werden. Allein in Russland wurden von 1993 bis 2013 319 JournalistInnen ermordet.
Auch hier blendet Blum weit zurück in die lange leidvolle Geschichte des Landes, berücksichtigt die Tatsache, dass in dieser Nation nicht weniger als 100 Ethnien zusammenleben, die mehr als 100 verschiedene Sprachen sprechen.
Alternative zum Eurozentrismus
Neu an Roger Blums Ansatz ist, dass er eine Alternative zum gewohnt eurozentrischen Blick der Medienwissenschaft bietet. Im Gegensatz zu den bisher angewandten Medienmodellen, beschränkt er sich nicht mehr ausschliesslich auf Westeuropa und Nordamerika, sondern strebt mit seinem Ansatz die Möglichkeit an, Mediensysteme rund um die Welt miteinander zu vergleichen.
Je restriktiver ein System, desto eingeschränkter ist auch die Meinungsäusserungs-freiheit. Je liberaler ein Land ist, desto mehr Macht können ihrerseits Medien entwickeln.
Dazwischen gibt es nicht nur schwarz und weiss, sondern unendlich viele Abstufungen. Diese Zwischenbereiche sind besonders interessant und diese Abstufen sind es auch, die Roger Blum besonders am Herzen liegen.
Eine Theorie fassbar gemacht
Was als Formel (s. Kasten rechts) abstrakt klingt, nimmt im Buch konkrete Gestalt an, werden doch die 23 Länder und ihre Medienlandschaft differenziert beschrieben. Man erfährt, warum Ägyptens Stellung auf dem afrikanischen Kontinent einzigartig ist, und erhält Einblick in die Mediensysteme von Ghana oder dem Senegal.
Das eigenartige Medienverständnis der nordkoreanischen Eliten wird ebenso plastisch dargestellt wie das der Regierungen der Türkei, Russlands oder Chinas. Und da Roger Blum zu den Wissenschaftlern gehört, denen es gelingt, komplexe Sachverhalte anschaulich und damit gut verständlich zu beschreiben, ist das Buch auch für Laien spannend zu lesen.