Das Wichtigste in Kürze
- In «L'illusion nationale» porträtieren eine Historikerin und ein Fotograf Menschen aus drei französischen Gemeinden, die vom Front National regiert werden .
- Das Buch ist wie ein Comic aufgebaut : Schwarz-Weiss-Bilder werden durch Sprechblasen ergänzt.
- Laut den Autoren sind vor allem soziale Absteiger Anhänger der Rechtspopulisten.
Blond wie die Hoffnungsträgerin
Schon auf dem Titelfoto ist zu sehen, was die Autoren des Fotoromans für « L'illusion nationale», die nationale Illusion halten: Eine junge Frau – blonde Haare, erwartungsvolles Lächeln – schmiegt sich geradezu an die ebenso blonde Marine Le Pen, macht ein Selfie. Die Chefin des Front National (FN) steht als Hoffnungsträgerin da.
Tiefe Enttäuschung
«Unser Buch drückt aus, dass die Illusion der FN-Wähler Folge einer enormen Desillusionierung ist», sagt die Autorin Valérie Igounet: «Diese Menschen glauben nicht mehr an die traditionelle Politik.
Sie fühlen sich von den Parteien verlassen und getäuscht. Deshalb setzen sie ihre ganze Zuversicht in diese angeblich neue Partei, himmeln diese blonde Frau an, die noch nie am Ruder war. Sie sagen: ‹Warum nicht sie?›»
Als Historikerin veröffentlicht Valérie Igounet regelmässig Fachbücher über ihr Spezialgebiet, den Rechtsextremismus in Frankreich.
Mit der ungewöhnlichen Form des Fotoromans will sie nun ein neues Publikum erreichen: «Es war uns wichtig, anders als sonst üblich über den FN zu sprechen. Wir wollten seinen Anhängern zuhören und sie auch zeigen.»
Die Unsichtbaren werden sichtbar
Igounet und der Fotograf Vincent Jarousseau sind jeweils rund zwanzig Mal in drei Städte gefahren, die vom FN regiert werden. Dort haben sie FN-Sympatisanten, gewählte Parteimitglieder, aber auch Nicht-Wähler und FN-Gegner begleitet.
Viele hätten sich über das ungewohnte Interesse gefreut, sagt Vincent Jarousseau. « FN-Wähler, das sind vor allem Arbeiter und kleine Angestellte, Menschen, die einen sozialen Abstieg erlebt haben oder befürchten. Diese Bevölkerungsschicht ist in Medien, Filmen und Werbung quasi unsichtbar.»
Sprechblasen wie im Comic
Jarousseau hat sich für Schwarz-Weiss-Fotos entschieden, sie unterstreichen die Emotionen der Gesichter. Das Blau-Weiss-Rot des Front National wird hier unsichtbar.
Das Ergebnis sind hochwertige Aufnahmen der Frauen und Männer, mit denen die beiden Autoren unterwegs waren. Ihre Ansichten sind in Sprechblasen zu lesen. Sie offenbaren Paranoia, Angst vor Ausländern, den Wunsch nach Abschottung, politische Ernüchterung.
Die andere Realität
In einer Fotoserie ist Sabrina zu sehen. Die 35-Jährige muss sich und ihre Familie mit Gelegenheitsjobs durchbringen. Sie sitzt in ihrer schmucklosen Küche, sagt: «Die Lage ist so schlecht, dass ich jetzt erst recht FN wählen werde. Ich habe immer gearbeitet und komme trotzdem nicht über die Runden. Aber um die Migranten zu holen, dafür haben sie Geld. Die sind sogar im Privatjet in Nimes gelandet.»
Migranten im Privatjet oder im Drei-Sterne-Hotel – derartige Äusserungen habe sie oft gehört, sagt Valérie Igounet: «Diese Menschen glauben das wirklich. Sie sind oft meilenweit von der Realität entfernt.»
Ein zerrissenes Land verstehen
In der letzten Sprechblase sagt Serge, Mitte 40, ehemaliger Soldat: «Alle anderen Parteien wollen unbedingt verhindern, dass der FN gewinnt. Aber man hat den Eindruck, dass sie alles tun, damit er gewinnt. Marine Le Pen müsste gar keinen Wahlkampf machen. Die anderen tun es für sie, sie übergeben ihre Wähler dem Front National.»
Der Mann bringt die aktuelle politische Lage in Frankreich auf den Punkt: Die Chancen für den Front National sind heute so gut wie nie zuvor. Der Fotoroman hilft, ein zerrissenes Land besser zu verstehen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Komapkt, 2.3.17, 13:02 Uhr