Gesellschaft & Religion - Mehr Raum, nur ein Traum? Sechs Fragen zur Schweizer Bodenpolitik
Wenn wir eine neue Wohnung suchen, wenn ein Betrieb wegen steigender Miete aufgibt, wenn wir durchs Mittelland fahren: Überall erleben wir, dass der Schweizer Boden knapp und ein begehrtes Gut ist. Warum lässt sich das nicht stoppen? Antworten auf die sechs wichtigsten Fragen zur Ressource Boden.
Zersiedelung ist das unkontrollierte, wuchernde Wachstum von Neubauten. Merkmal davon ist die schlechte Ausnutzung von Räumen: Viel Wohn- oder Arbeitsraum für wenige Menschen. Expertinnen und Experten sind sich einig: Die Zersiedelung ist das grösste Defizit der Schweizer Raumplanung. Grund der Malaise: Wenn Bauland knapp wurde, hat man früher auf Gemeindeebene Agrarland in Bauzonen umgewandelt
2) Hat die Raumplanung versagt?
Seit 1950 hat sich die Zersiedelung in der Schweiz mehr als verdoppelt. Experten sehen eine Wende zum Besseren dank des kürzlich revidierten Raumplanungsgesetzes (RPG). Aber: Die Umsetzung braucht viel Zeit. Die Planungshorizonte erstrecken sich über zehn, zwanzig Jahre. Kantone müssen nun ihre Richtpläne anpassen, auch das braucht Zeit.
3) Löst das revidierte Raumplanungsgesetz alle Probleme?
Nein. Bodenspekulation lässt sich mit dem RPG nicht in den Griff bekommen. Solange Grundstücke und Häuser als Renditeanlagen interessant sind, wird dies bei entsprechender Nachfrage auch die Preise weiter in die Höhe treiben. Das hat zur Folge, dass mehr Fläche bebaut werden wird.
Zudem ist der Flächenverbrauch pro Kopf mit über 400 Quadratmetern Siedlungsfläche (inklusive Infrastruktur etc.) so hoch wie nie. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Verstärkt wird dieser Umstand durch das Bevölkerungswachstum.
4) Können Gesetze die Zersiedelung überhaupt stoppen?
Da gehen die Meinungen auseinander. Offenbar stossen aber die raumplanerischen Instrumente an die Grenzen des Privateigentums. Eine Gemeinde kann zum Beispiel Bauzonen ausweisen – also Land, das bebaut werden darf. Sie kann aber keinem Eigentümer vorschreiben, sein Land auch tatsächlich zu bebauen, zu vermieten oder zu verkaufen.
So bleiben Liegenschaften innerhalb der Ortskerne unbebaut – und der Gemeinde bleibt oft nichts anderes übrig, als doch wieder Land auf der grünen Wiese einzuzonen und in Bauland umzuwandeln, wodurch die Zersiedelung wiederum voranschreitet.
5) Welche Alternativen gibt es?
Eine Möglichkeit wäre, dass die öffentliche Hand selbst Land besitzt. Dann kann sie wie ein Eigentümer bestimmen, wem sie das Land zu welcher Höhe vermietet – und wie es genutzt werden soll. Sie kann dann auch bestimmen, wie dicht gebaut wird oder welchen Unternehmen sie Land zur Verfügung stellen will. In Biel und Zürich gibt es bereits Modelle in diese Richtung, in Basel wird demnächst darüber abgestimmt.
6) Wo wollen die Schweizerinnen und Schweizer leben?
In einer Umfrage der ETH Zürich gaben 72 Prozent der Menschen an, das Dorf habe für sie eine hohe oder die höchste Präferenz. Für Kleinstädte können sich 67 Prozent erwärmen, nur 30 Prozent für die grösseren Städte. Ländliches Wohnen mit guter Anbindung ans Strassennetz und an die öffentlichen Verkehrsmittel ist beliebt – und genau dies ist einer der wichtigsten Treiber der Zersiedelung: die Erschliessung von Regionen durch Strassen und öffentliche Verkehrsmittel.
«Unter Dorf ist aber nicht nur das Dorf im klassischen Sinn zu verstehen» präzisiert Felix Kienast, Professor an der Eidgenössichen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, der zuständig für das Forschungsprojekt ist. Die Leute können sich auch vorstellen, in dörflichen Strukturen zu leben, so Kienast. Das bedeutet, dass man seine Nachbarn kennen will, dass man vor Ort einkaufen will und dass Naherholungsgebiete nicht zu weit entfernt sind. Dies können man auch in Agglomerationen und sogar Städten haben, wenn richtig geplant werde.
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