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Jürgen Habermas wird 95
Aus Kultur-Aktualität vom 18.06.2024. Bild: Imago/Funke Foto Services
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Philosoph wird 95 Jürgen Habermas: Ein öffentlicher Theoretiker, der austeilen kann

Weltweit gilt der Philosoph Jürgen Habermas als einflussreicher Intellektueller. Seit über 60 Jahren prägt er politische Debatten.

Habermas ist kein Philosoph aus dem Elfenbeinturm. Er mischt sich von Anfang an in öffentliche Debatten ein. Ob Kriegseinsätze, Bioethik oder Europapolitik, was immer auf der politischen Weltbühne geschieht: Habermas nimmt Stellung, kommentiert, kritisiert.

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas

Soziologe und Philosoph

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Jürgen Habermas wurde am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. 1956 wird er Assistent von Theodor W. Adorno am «Institut für Sozialforschung» in Frankfurt am Main.

1964 erhielt er die Professur für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt am Main. Zwischen 1971 und 1981 leitete er das «Max-Plank-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt» in Starnberg.

1981 erschien die «Theorie des kommunikativen Handelns», 1992 sein Buch «Faktizität und Geltung». 2019 erschien sein 1'700-seitiges Werk «Auch eine Geschichte der Philosophie» im Suhrkamp-Verlag.

Mit diesem Engagement lebt er vor, was seine Theorie fordert: Eine lebendige, öffentliche Debatte. Dabei sei er oft polemisch und «brachial» in seiner Wortwahl, meint Philipp Felsch, Kulturwissenschaftler und Habermas-Biograf.

«Habermas ist ein widersprüchlicher Denker, der einerseits auf vernünftige Verständigung pocht und andererseits richtig austeilen kann.» Dass Argumente nur rational und massvoll vorgetragen werden dürfen, wie er es predigt – so hat er selbst oft nicht gehandelt.

Buchhinweis

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Buchhinweis: Philipp Felsch: «Der Philosoph. Habermas und wir». Propyläen 2024, 256 Seiten.

Alle müssen mitreden dürfen

Das erstaunt, spielen doch eben die Sprache und vernünftige Kommunikation in Habermas’ Werk eine entscheidende Rolle: Dass alle vernünftig ihre Argumente einbringen und im «herrschaftsfreien Diskurs» miteinander ins Gespräch kommen dürfen, sei vor allem in Demokratien wichtig.

Im öffentlichen Raum, so Habermas’ Forderung, soll über alles frei gesprochen und vernünftig gestritten werden können. Nur so liesse sich Gerechtigkeit finden.

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«Strukturwandel der Öffentlichkeit» von Jürgen Habermas
aus Reflexe vom 24.07.2012. Bild: IMAGO / epd
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Aus diesem Grundsatz ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die Politik, wie ein Wahl- und Stimmrecht für Ausländer und Ausländerinnen. Nur im fairen Austausch, ist sich Habermas sicher, kann man sich der Wahrheit annähern und Gesetze legitimieren.

60 Jahre Vordenken

Die Öffentlichkeit wird erstmals 1953 auf Habermas aufmerksam, als der junge Philosophiestudent in einem Zeitungsartikel Martin Heideggers «Einführung in die Metaphysik» rezensiert und den Star-Philosophen scharf für seine Nähe zur NS-Diktatur kritisiert.

Habermas' Demokratieverständnis

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Mit Schriften wie «Strukturwandel der Öffentlichkeit» (1962) und «Theorie des kommunikativen Handelns» (1981) prägt Habermas das Demokratieverständnis. Er gehört zur zweiten Generation der Frankfurter Schule und ist einer der weltweit meistrezipierten Philosophen.

Er war zuletzt Professor der Philosophie an der Universität Frankfurt am Main.

Wenig später arbeitet er als Forschungsassistent von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in Frankfurt und wird von den Hauptvertretern der Kritischen Theorie massgeblich beeinflusst. In Deutschland gilt er schon in den 1960er-Jahren als einer der wichtigsten Intellektuellen des Landes.

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Jürgen Habermas: Wie geht Demokratie?
Aus Sternstunde Philosophie vom 23.06.2019.
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Seitdem sorgt er mit seinen Zwischenrufen immer wieder für einen lebendigen Diskurs und vertritt nicht selten umstrittene Positionen. «Was mich bei Habermas fasziniert, ist die enge Verschränkung von philosophischer Reflexion und öffentlicher intellektueller Aktivität», erklärt Felsch. «Er hat den Philosophen darauf verpflichtet, auf der Höhe aktueller politischer Probleme zu denken.»

Verwilderter Diskurs

Ob Klimawandel, Ukraine-Krieg oder Nahost-Konflikt, Habermas bezieht nach wie vor öffentlich Stellung. «Die politische Lage in Europa heute beurteilt Habermas sehr hellsichtig», meint Felsch. Der Philosoph habe jedoch einen düsteren, entmutigten Blick auf die Situation im Westen entwickelt, insbesondere aufgrund der innenpolitischen Verwerfungen in den USA.

Älterer Mann spricht am Rednerpult
Legende: «Ein mündiger Mediengebrauch ist für Habermas immer auch an Lernprozesse gebunden», meint Philipp Felsch, Kulturwissenschaftler und Habermas-Biograf. IMAGO / GlobalImagens

Auch die sozialen Medien gäben ihm zu denken. Obwohl Medien als Kanäle des freien Austauschs für Habermas so wichtig sind, werfe er digitalen Plattformen vor, zur «Verwilderung des Diskurses» beizutragen: «Wir müssen erst mal lernen, was es heisst, sich öffentlich zu äussern», so Felsch.

Entsprechend habe die Philosophie von Habermas immer auch etwas Pädagogisches. Bleibt zu hoffen, dass sich sein Vertrauen auf den «zwanglosen Zwang des besseren Arguments» auch im digitalen Zeitalter bewährt.

Dieser Artikel wurde aktualisiert.

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Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 18.6.2024, 7:06 Uhr

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