Stellen Sie sich vor, Sie könnten ein Stück Sonne auf die Erde holen und daraus unbegrenzt Energie gewinnen. Genau das versprechen Forscherinnen und Forscher, die ein Fusionskraftwerk bauen wollen. Schon seit Jahrzehnten basteln sie an einem Reaktor, der tatsächlich Strom produziert – mit mässigem Erfolg. Doch der Traum von der Kernfusion lebt wie eh und je.
Disneys Fortschrittsland
Das Thema sei mythisch stark aufgeladen, sagt der Kulturwissenschaftler Simon Märkl. «Das Sonnenlicht auf die Erde holen – dieses Thema kann man bis in die Antike zurückverfolgen.» Der griechische Halbgott Prometheus stahl für die Menschen das Sonnenfeuer. Was kriegten die Menschen dafür als Strafe von den Göttern? Die Büchse der Pandora mit all ihren Übeln.
Für solche Mythen, die irgendwie mit der Kernfusion zu tun haben, interessiert sich Simon Märkl von der Ludwig-Maximilians-Universität München, und zwar mit Fokus auf die USA. Ein Startpunkt: Die Weltausstellung 1964 in New York. Da gab es einen Pavillon von General Electric, gestaltet von der Firma Walt Disney, in dem die Kernfusion in kleinem Rahmen der Öffentlichkeit demonstriert wurde. Disney hatte schon vorher einen Hang zur Atomkraft, wie der berühmte Film «Our Friend The Atom» zeigt. Und nun also eine Ausstellung zur Kernfusion. In einer Broschüre dazu war zu lesen:
Alle blicken gespannt auf das Fusionsinstrument. Der Countdown endet. Es gibt einen plötzlichen hellen Lichtblitz – und eine laute Hochspannungsentladung, deren Echo durch den Raum wandert.
Es müsse ein cooles Erlebnis gewesen sein, meint Märkl. «Bestimmt dachte jeder, der diese Ausstellung gesehen hat: Das ist es! Das ist die Zukunft, und es wird nicht mehr lange dauern.»
Waffen und Zeitmaschinen
Ein anderes Beispiel ist der US-Regierungsbericht «Star Power» von 1987. Der Schriftzug auf dem Titelblatt erinnert stark an den von «Star Trek».
«Star Trek» hilft der Fusionsforschung. Die Fusionsforscher helfen «Star Trek»: Ein Teil des Films «Star Trek Into Darkness» aus dem Jahr 2013 wurde im Kontrollraum eines grossen US-Fusionsexperiments gedreht. Weil der Look so gut passte.
Dass die US-Behörden einen Hang zur Science-Fiction haben, zeigt sich auch an einem weiteren Beispiel: Im Auftrag der Kommission für Atomenergie schrieb der berühmte Science-Fiction-Autor Isaac Asimov ab 1972 kleine Büchlein über Atomkraft fürs breite Publikum. Auch die Kernfusion wird thematisiert – in sehr optimistischem Ton.
Das wohl berühmteste Beispiel für Kernfusion in der Science-Fiction ist allerdings der Kinofilm «Zurück in die Zukunft». Die Zeitmaschine DeLorean wird da mit dem «Mr. Fusion Home Energy Reactor» angetrieben. Der Treibstoff: Haushaltsabfälle.
Bei der Landung von Marty McFly im Jahr 2015 wiederum stehen containerweise kleine Fusionskraftwerke in der Gegend herum. «So wird die Kernfusion dargestellt als etwas, das dezentral für jeden zu Hause aus billigen Rohstoffen unbegrenzte Energie freisetzt», sagt Märkl. Schade nur, dass das bis jetzt immer noch Zukunftsmusik ist.