Zar Alexander III. hatte es Ende des 19. Jahrhunderts so formuliert: «Russland hat auf der ganzen Welt nur zwei wahre Verbündete – unsere Armee und unsere Flotte.» Inzwischen ist als dritter Alliierter noch Gazprom hinzugekommen, aber im Kern gilt das Misstrauen bis heute. Russland baut allein auf seine eigene Stärke mit einer national konservativen Kultur. Nischenerlaubnis? Njet, nein, nitschewo.
Das Kulturministerium gab unlängst ein Manifest heraus, das den Kurs künftiger Kulturpolitik festlegen soll. In der Kernthese «Russland ist nicht Europa» zeigt sich Moskaus Hang zur Selbstisolation. Der Kreml rüstet sich für einen Kampf der Kulturen zwischen Ost und West.
Kultur auf nationalem Konfrontationskurs
Die slawophile, aus dem 19. Jahrhundert stammende Verortung der Kultur setzt auf Konfrontation. Neoimperiale Rhetorik schwört Künstler, Regisseure und Schriftsteller auf Grösse ein, auf eine «kulturelle und geistige Einheit», die sich zu einer nationalen «Bewegung nach vorn» formieren soll. Künstler und Intellektuelle sollen Hand in Hand an einer spezifisch russischen Gesamtharmonie mitwirken – fern aller westlichen «Pseudokunst».
Wer da nicht mitmachen will, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Wegen seiner Kritik an der Annexion der Krim verlor der renommierte und international geachtete Architekturkritiker Grigorij Rewsin unlängst seinen Posten als Kurator des russischen Pavillons auf der Architektur Biennale in Venedig. Der Philosophieprofessor Andrej Subow musste wegen seiner kritischen Anmerkungen zur Krim-Annexion seinen Lehrstuhl am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen aufgeben. Die Begründung: Subows Ansichten gefährdeten den Lernbetrieb.
Die Nichteinverstandenen
Auch Schriftsteller bekommen es mit der russischen Reaktion zu tun. Der Kultautor und Russlands erster literarischer Provokateur Wladimir Sorokin zog es zwischenzeitlich vor, in Berlin zu leben – zuhause sah er sich wütenden Drohungen ausgesetzt.
Der Schriftsteller Sergej Lebedew, dessen Romandebüt «Der Himmel auf ihren Schultern» weltweit Beachtung fand, stösst mit seinem neuen Manuskript über die Putin-Ära bei allen russischen Verlagen auf verschlossene Türen.
Dabei gibt es keine offizielle Zensur; das Diktat in ästhetischen Fragen ist vielmehr die Begleiterscheinung einer Politik, die auf Nationalismus setzt, Patriotismus fördert, die Orthodoxie hofiert und alles Andersartige moralisch abwertet.
Plötzlich wieder Feindesland
Höhepunkt der Kampagnen war dabei unlängst ein sieben Meter grosses Plakat an der Fassade von Moskaus grösster Buchhandlung am Arbat, gegenüber des kreml-kritischen Senders «Echo Moskwe». Es zeigte zwei Ausserirdische mit schwarzen Koffern, die fünf Personen Geld zustecken wollten.
Die Diffamierungsaktion zielte auf die Rockmusiker Jurij Schewtschuk und Andrej Makarewitsch sowie auf die die Oppositionspolitiker Aleksej Nawalnyj, Boris Nemzow und Ilja Ponomarjow. Die Unterschrift lautete: «Die fünfte Kolonne. Fremde mitten unter uns.» Paranoia wie zu Zeiten Stalins, die Russland tatsächlich weit von Europa fortdriften lässt.