Kaum etwas beunruhigt Russlands Politelite mehr als das Internet. Speziell seine Unübersichtlichkeit. Munter sprudelnde Blogs und das durchaus Demokratie stiftende Potenzial von Facebook & Co. bereiten Russlands Staatskontrolle grosse Sorgen.
Internetseiten gesperrt – ohne Gerichtsbeschluss
Seit einem Jahr gilt in Russland ein neues Gesetz: Behörden können Internetseiten sperren unter Verweis auf «einen Anfangsverdacht auf einen rechtswidrigen Inhalt.» Ohne Gerichtsbeschluss. Das Regelwerk sollte dem Jugendschutz dienen.
Tatsächlich wurden bisher jedoch vor allem Kreml-kritische Seiten geschlossen – wie die des Oppositionspolitikers Garri Kasparow. Oder das kritische Nachrichtenportal grani.ru und die Website des Anti-Korruptionskämpfers Alexej Nawalnyj. Inzwischen folgt eine Regulierungsmassnahme nach der anderen.
Im Juli hat die Duma ein weiteres Gesetz verabschiedet. Es schreibt vor, dass die persönlichen Daten russischer Bürger ab 2016 nur noch auf Servern im Inland gespeichert werden können. Für viele Internetaktivisten steht damit fest: Russland ist auf dem besten Weg, chinesische Verhältnisse zu etablieren.
Filtern, blocken, löschen
«Roskomnadsor» lautet der sperrige Name der russischen Medienaufsichtsbehörde. Sie hat gegenwärtig über 2600 Websites gesperrt. Kritiker sprechen bereits von einem «Infokrieg». Kritische Journalisten und Blogger sind erheblichem Druck ausgesetzt.
Die Kriterien, nach denen die Medienaufsichtsbehörde eingreifen kann, sind mehr als schwammig. Prinzipiell ist eigentlich alles verboten, was nicht Jubelpropaganda für den Kreml ist.
Seit dem 1. August müssen sich Blogger und Nutzer von Facebook oder Twitter, die mehr als 3000 Leser erreichen, bei den Behörden registrieren und an alle Gesetze halten, die für professionell geführte Massenmedien gelten. Dieselben Rechte wie Massenmedien können sie indes nicht in Anspruch nehmen.
So wird die freie Meinungsäusserung geknebelt, denn Blogs sind ein wichtiges Medium für Kritiker des Kreml. Der aufgeklärte Teil der Bevölkerung in Russland informiert sich längst im Internet, da die klassischen Medien fast ausnahmslos auf Linie gebracht wurden.
Putins Infokrieger
Beiträge zum Thema
«Russland hat nun bald eine Internetpolizei», kündigte die «Nesawissimaja gazeta» schon mal an. Russland hat aber vor allem auch eine Menge sogenannter Trolle: Info-Krieger, die im Schutz der Anonymität und im Auftrag des Kreml Meinung machen. Sie dominieren und stören die Kommentar-Bereiche grosser Nachrichtenportale und die Debatten in sozialen Netzwerken. Ihre Spezialität: Schmähkampagnen im Netz. Cyberexperten schätzen diese Kampagnen als festen Bestandteil der russischen Militärdoktrin ein.
Die hoch professionellen Kampagnen werden von einer «Agentur zur Analyse des Internets» in St. Petersburg gesteuert. 600 Mitarbeiter sind da beschäftigt. Die Manipulation kostet gut eine Million Dollar – pro Monat. Kreml-kritische Medien wie die «Nowaja Gazeta» lassen sich beispielsweise leicht unter Druck setzen, indem derbe Schimpftiraden in den Leserzuschriften im Internet losgetreten werden.
Flüche und Kraftausdrücke sind in den Medien und neuerdings auch im Internet verboten. Für Journalisten, Blogger und Facebook-Aktivisten ist das ein Problem. Sie haften für die Zuschriften ihrer Leser. Die staatliche Kontrolle hat die digitale Welt erreicht, Internetzensur ist in Russland weitgehend umgesetzt.