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Nachhilfe für Mario Barth «Satire kann nicht einfach etwas erfinden»

Seine Kollegen belächeln Mario Barth gerade als «Volltrottel». Dabei wollte der deutsche Komiker nur zeigen: Proteste gegen Donald Trump? Die gibt es nicht. Medienwissenschaftler Guido Keel sagt: Wenn Mario Barth das als Satire meint, hat er nicht begriffen, wie Satire geht.

SRF Kultur: Mario Barth in der Rolle des investigativen Journalisten – so gesehen letzte Woche vor dem Trump Tower in Manhattan. Der Komiker will seinem deutschen Publikum beweisen: Da sind keine Anti-Trump-Proteste, wie uns die Medien weismachen wollen. Haben Sie über die umstrittene Aktion gelacht?

Guido Keel: Ich habe geschmunzelt – aber über Mario Barth. Weil er nicht verstanden hat, dass er im falschen Moment da war, um die Proteste gegen Donald Trump zu sehen.

Die Vorgeschichte

  • Der deutsche Komiker Mario Barth fliegt kurz nach den US-Wahlen nach New York. Er will Anti-Trump-Proteste filmen.
  • Die Filme werden am Freitag, 18. November 2016 veröffentlicht. Zu sehen sind Touristen, aber keine Proteste.
  • Die Aktion trägt Barth viel Spott ein. Denn es gab Proteste gegen Trump an jenem Tag – allerdings erst später.
  • Die satirische «heute show» bezeichnet Mario Barth als «Volltrottel». Barth selbst sagt, er mache Comedy für seine Fans, nicht für die Medien.

Für die heute-show hat Mario Barth vor allem bewiesen, «was für ein unglaublicher Trottel er ist.» Unterschätzt die Satire-Sendung nicht sein perfides postfaktisches Kalkül? Barth wollte zur Unzeit in New York sein, um das diffuse Vorurteil der «Lügenpresse» zu zementieren.

Gute Satire sollte sich immer gegen einen realen Missstand richten. Das Problem wäre in dem Fall gewesen: Die Medien geben ein verzerrtes Bild der Anti-Trump-Proteste wieder.

Wenn Barth im falschen Moment da ist, kann seine Satire dieses Ziel nicht erreichen. Denn bei der Satire müssen die Fakten im Kern stimmen. Man kann nicht einfach etwas erfinden.

Funktioniert die Satire Mario Barths so anders als die von Jon Stewart oder John Oliver – den beiden Ikonen der TV-Politsatire? Auch sie arbeite(te)n mit den Mitteln des Zuspitzens und Weglassens. Zeigt ein Mario Barth nicht vor allem auch, dass wir Politsatire nicht von rechts erwarten?

Der Unterschied ist: Gute Satire macht einen realen Missstand zum Thema und zieht ihn durch die künstlerischen Mittel der Überspitzung oder Verfremdung ins Lächerliche.

Mario Barth hatte gar keinen Missstand, von dem er ausgehen konnte. Es entspricht ja gerade nicht der Realität, dass es keine Proteste gegen Trump gibt. Es gibt diese Proteste. Wenn Mario Barth das als Satire verkaufen will, hat er nicht verstanden, was Satire ist

Denn die Frage bleibt offen: Was möchte er überhaupt anklagen?

Sagen Sie jetzt bitte nicht, er macht sich über die dumpfen Lügenpresse-Schreier von AfD und Pegida lustig.

Wenn Satire in aller Regel gegen rechts schiesst, liegt das daran, dass die Macht häufig Mitte rechts ist.

(lacht) Man könnte natürlich sagen, er imitiert sie mit völlig hanebüchenen Mitteln, indem er im falschen Moment am falschen Ort ist, obwohl allen klar ist, dass es diese Proteste gibt.

Dann ist der Missstand, den er kritisiert, aber nicht eine allfällige Fehlleistung der Medien. Sondern die Beschränktheit der Lügenpresse-Schreier. Das fände ich ja schon fast wieder satirisch. Bloss: Ich habe die ganze Aktion nicht so verstanden.

Gibt es eigentlich rechte Politsatire, die man ernst nehmen muss?

Satire an sich ist politisch nicht einer Seite zuzuordnen. Satire schiesst immer gegen die Macht. Sitzt die Macht links, dann gibt es auch rechte Satire gegen linke Politik.

Die Satire schaut, wo es auf der Welt einen Missstand zu kritisieren gibt.

Wenn Satire in aller Regel gegen rechts schiesst, liegt das daran, dass die Macht häufig Mitte-rechts ist. In der Praxis ist es vielleicht auch so, dass die meisten Künstler eher dem linken Spektrum zuzuordnen sind und deshalb einen schärferen Blick gegen Missstände auf der rechten Seite des politischen Spektrums haben.

Grundsätzlich sollten sie aber ihre eigene politische Haltung hinten anstellen, wenn sie gute Satire machen möchten.

Warum ist die TV-Politsatire so wichtig geworden?

Sie wirkt in den USA seit knapp 20 Jahren, im deutschsprachigen Raum in der heutigen Form seit knapp 10 Jahren stark ergänzend zum Journalismus.

Indem sie erstens Missstände auf verständliche und unterhaltsame Weise beim Namen nennt. Und zweitens Medienkritik betreibt.

Unlustiger Verdacht: Zu viel Politsatire birgt die Gefahr, dass wir uns ernste Themen und Argumente nur noch weglachen. Unser Reflex wird der Lacher – gefragt wäre aber die Reflexion.

Diese Gefahr besteht. Allerdings: Alle sollten Ziel und Gegenstand von Satire sein. Sogar die Satire selbst. Wenn Satire dazu führt, dass die Reflexion vernachlässigt wird, wäre das auch ein Missstand, den die Satire aufgreifen müsste. Es gibt nämlich so etwas wie den selbstreinigenden Mechanismus in der Satire.

Viel wichtiger scheint mir aber: Wer keine Ahnung von Politik hat, wird nicht verstehen, warum Politsatire lustig ist. Und gerade weil die Satire immer Vorwissen bedingt, bringt sie die Leute dazu, sich zu auch über Dinge zu informieren, die sie sonst nicht auf dem Schirm haben.

Satirische Selbstreinigung: Das wäre etwa die Replik der «Welt», die Mario Barth in einem längeren Artikel zum US-Aussenminister ernennt – natürlich mit einem Augenzwinkern?

Eine gute Reaktion. Die Satire schaut, wo es auf der Welt einen Missstand zu kritisieren gibt. Heisst der Missstand Mario Barth, knöpft sie sich Mario Barth vor und nennt ihn einen Idioten. Aber nicht einfach so, sondern auf eine lustige Art.

Satiriker wünschen sich nicht möglichst grosse Idioten, die viel Material abwerfen.

Über Donald Trump kann man sich leicht lustig machen – genau das scheint ironischerweise ein unheimliches Geheimnis seines Erfolgs. Braucht die Politik wieder mehr Figuren, die weniger leicht zum Gespött werden können?

Schon George W. Bush war ein gefundenes Fressen für Satiriker. Natürlich wäre es schön, in einer Welt ohne Missstände zu leben. Gäbe es keine Missstände, gäbe es auch keine Satire mehr.

Satiriker wünschen sich aber nicht möglichst grosse Idioten, die viel Material abwerfen. Satiriker sind meines Erachtens häufig Menschen mit einem starken Gerechtigkeitsempfinden, die über bestehende Missstände in der Gesellschaft enttäuscht sind.

Die Satire ist ihre Form, dieser Enttäuschung Ausdruck zu verleihen.

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